Klares Nein zu Atomwaffen – egal in welchem Land
Geht es um Atomwaffen, winkt man in Deutschland schnell ab: Atombomben besitzen nur die anderen, Deutschland ist ja gar keine „Atommacht“. Doch auch hierzulande lagern Kernwaffen – auf einem US-Stützpunkt mitten in der Eifel. Für Julia Ratzmann von der Pazifik-Infostelle ist klar: So leicht können wir uns nicht aus der Verantwortung stehlen.
An den Physikunterricht in der Oberstufe erinnere ich mich noch gut. Wir beschäftigten uns mit dem Aufbau und dem Wirkungsmechanismus von Atombomben. Im Prä-Social-Media-Zeitalter Ende der 1980er-Jahre gab es für uns Schüler*innen nur einen kurzen Info-Film und wenige schwarz-weiß Fotos im Physikbuch – doch diese Fotos haben meinen Blick auf die Welt verändert. Die schreienden, rennenden, verbrannten, sterbenden Menschen im japanischen Hiroshima und Nagasaki sind mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen. So ein Inferno möchte ich nie erleben und ich möchte auch nicht, dass irgendein Mensch auf der Welt durch die Gluthölle einer atomaren Explosion gehen muss. Viel übrig wäre nach einer Atomexplosion nämlich nicht mehr von uns und der Welt, wie wir sie kennen.
© Foto: Rap Dela Rea/Unsplash | Die Ruinen in Hiroshima zeugen heute noch von der zerstörerischen Kraft von Atomwaffen.
Das kann uns in Deutschland nicht passieren, denken Sie? Weit gefehlt, denn 20 einsatzbereite Atombombensprengköpfe lagern mitten in Deutschland, in der beschaulichen Eifel. Hier, am amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Büchel, üben Soldaten*innen in Kampfjets den atomaren Krieg. Trägerflugzeuge können diese Atombomben zu jedem beliebigen Ort der Erde bringen – einmal quer über die Bundesrepublik. Ab 2023/2024 wollen die USA die hier stationierten Atomwaffen durch technisch aufgerüstete Atombomben vom Typ B61-12 ersetzen. Die gehören zu den modernsten weltweit verfügbaren Nuklearwaffen. Die in ihrer Sprengkraft variabel einstellbaren Bomben fliegen nach Abwurf aus dem Trägerflugzeug computergesteuert in ihr Ziel. Angeblich hängt unsere deutsche NATO-Mitgliedschaft an diesen Bomben. Nur wenn wir die Atomsprengköpfe ständig einsatzbereit halten, können wir Mitglied im Verteidigungsbündnis der NATO bleiben, argumentieren die Einen. Andere, wie die ehemaligen NATO-Generalsekretäre Javier Solana und Willy Claes, meinen, dass unsere NATO-Mitgliedschaft nicht an den Bomben hängt. 50 Spitzenpolitiker*innen finden das auch und haben das in einem Offenen Brief im September 2020 an die damalige deutsche Regierung auch deutlich gemacht.
Mitmach-Zwang trotz Atomwaffen-Verbot?
Ob Nato-Mitglied oder nicht – das ändert nichts an meinen Gefühlen gegenüber „den Bomben“ in der Eifel. Natürlich hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag schon 1996 den Einsatz von Atomwaffen für völkerrechtswidrig erklärt und ich gehe davon aus, dass sich Deutschland mit seiner Liebe zu Gesetzen und Regularien auch an dieses Verbot halten wird. ABER: Menschen machen Fehler, technische Systeme können versagen, irgendein dummer Zufall lässt vielleicht jemanden den falschen Knopf zur falschen Zeit drücken. Durch die Anwendung von künstlicher Intelligenz bei der Steuerung von Kampfflugzeugen unter Begleitung unbemannter Flugkörper (Drohnen) rückt die Gefahr eines Atomkrieges „aus Versehen“ immer näher. Nach der Explosion einer Atomwaffe in einer Metropole wäre die Versorgung der Überlebenden nicht möglich. Das sagt das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und die kennen sich ja nun wirklich mit Katastrophen aller Art aus. Ein Atomkrieg, und sei er auch nur auf eine Region unseres Erdballs begrenzt, könnte das Klima der Erde nachhaltig verändern, die bereits bestehende Hungersnot in vielen Staaten verschärfen, weitere Pandemien mit heute noch unbekannten Viren nach sich ziehen und massive Fluchtbewegungen auslösen.
© Foto: Library of Congress | Auch ein Jahr nach der Bombardierung vom 9. August 1945 liegt Hiroshima noch in Trümmern. 66 Staaten haben diese Gefahren erkannt und die einzig richtige Konsequenz gezogen. Sie haben den Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) bereits ratifiziert. 86 Staaten haben den Vertrag immerhin unterzeichnet und damit ihr Einverständnis für eine Ratifizierung zum späteren Zeitpunkt signalisiert. Der AVV verbietet den Vertragsstaaten die Entwicklung, den Erwerb, den Besitz, die Weitergabe, die Stationierung sowie die Drohung mit und den Einsatz von Kernwaffen. Zudem legt er fest, wie die vollständige Abrüstung in beitrittswilligen Atomwaffenstaaten organisiert und kontrolliert werden soll. Seit dem 22. Januar vergangenen Jahres ist der AVV in Kraft, vor allem dank der Ratifizierung durch viele kleine, auf der Bühne der internationalen Politik eher unscheinbare Staaten, wie den pazifischen Cook-Inseln, Nauru, Niue und Palau. Deutschland hat den Vertrag nicht unterzeichnet, denn die Stationierung von Atomwaffen ist den AVV-Beitrittsländern explizit verboten. Solange also in Deutschland amerikanische Atombomben auf ihren Einsatz für die NATO-Staaten warten, wird die Regierung das Thema eines Beitritts weiter nach hinten verschieben.
Wie schon seit Jahren betreibt die deutsche Politik eine geschickte Verzögerungstaktik. Statt endlich „Butter bei die Fische“ zu geben und sich zu einer atomwaffenfreien Welt zu bekennen, wird um den heißen Brei herumgeredet. Selbst im Bundestagswahlprogramm der Partei Die Grünen aus dem Jahr 2021 findet sich kein Passus zu den in Büchel lagernden Bomben. Dabei müsste es doch gerade im politischen Interesse der Grünen sein, die atomare Gefahr von in Deutschland lagernden Bomben von den Menschen abzuwenden. Ich finde es bedrohlich und beängstigend, dass 2.000 (von weltweit 13.000) Atomwaffen in ständiger Einsatzbereitschaft sind. Alle Atommächte planen, entwickeln oder stationieren derzeit neue Waffensysteme. Jede davon kann hunderttausende Menschen töten, radioaktiv verstrahlen und noch viele Generationen später Krebs und Erbkrankheiten auslösen. Das haben uns die Atomwaffentests in Australien, Algerien und im Pazifik drastisch vor Augen geführt. Missgebildete „Quallenbabies“ werden dort noch heute geboren und viele tausend Atomtestveteranen sind bereits an Strahlenschäden gestorben. Beitrittsunwillige Regierungen können also keine Unkenntnis über die atomaren Gefahren vortäuschen, ein Blick ins alte Physikbuch reicht da aus. Ich habe deshalb immer noch nicht verstanden, warum wir Deutschen die Atomwaffen nicht ächten können. Wollen wir etwa die Amerikaner bitten, uns mit ihren 20 Bomben aus Büchel gegen die Atomwaffenstaaten Russland, China, Indien, Pakistan und Nordkorea im Falle eines Nuklearschlages zu verteidigen? Darüber lachen doch diese Staaten nur, ihr Atomwaffenarsenal übersteigt die Menge der hier verfügbaren Atomwaffen um ein Vielfaches.
Welt ohne Atomwaffen? Eine „Mission Possible“!
Dass ein Einsatz von Nuklearwaffen denkbar ist, haben uns die letzten Monate gezeigt, in denen ein russischer Präsident wie rein zufällig über „seine“ Atomwaffen sprach. Natürlich ist es schwierig, ein Land davon zu überzeugen, auf seine stärkste und wirkmächtigste Schutz- und Verteidigungswaffe zu verzichten, doch die Erfahrung zeigt: Internationale Waffenverbote stoßen zunächst immer auf Widerstand. Im Vietnam-Krieg hatte keiner der angreifenden Staaten ein Problem mit Napalm. Wenn ein Staat heute sichtbar auf biologische oder chemische Waffen zugreift, treten die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen eiligst zusammen und beraten über Strafmaßnahmen. Auch Landminen waren stets ein probates Mittel im Kampf; nach zähen Verhandlungen sind diese Antipersonenminen seit 1999 verboten. Offiziell gilt das gleiche seit 2010 auch für Streumunition. Ob sich die Machthabenden daran halten? Zahlreiche Menschen weltweit haben sich jahrzehntelang für die Konventionen zum Verbot hochgefährlicher Waffen eingesetzt. Dieses Engagement bewundere ich, zumal es sich gelohnt hat. Erst kürzlich wurde bei der ersten Vertragsstaatenkonferenz zum AVV in Wien vereinbart, dass die Opfer von Atomwaffentests und -einsätzen besser unterstützt werden müssen.
Ich bin überzeugt: Christi*innen sind sich ihrer Verantwortung in Bezug auf die Bewahrung der Schöpfung und des Lebens besonders bewusst. Ich und viele andere wären daher bereit noch mehr zu tun, um die Regierungsverantwortlichen zu überzeugen, ein für alle Mal Schluss zu machen mit den Atomwaffen. Wenn wir nur wüssten, was und wie wir das anstellen könnten … Also falls mir eine*r erklären kann, was wir Christ*innen tun können – sehr gern. Denn unsere wunderbare Schöpfung ist es doch wert, vor dem atomaren GAU bewahrt zu werden, oder?
Julia Ratzmann
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