Indigen und christlich – Widerspruch oder Bereicherung?
In Nagaland in Indien sind christliche Identität und indigene Stammesidentität historisch fest miteinander verbunden. Aber kann man indigen UND christlich sein? Und wenn ja, wie? In ihrem Blog-Beitrag berichtet Moasenla vom wechselhaften Weg der Naga-Stämme mit dem Christentum im Laufe der Geschichte und erklärt, wie es heute gelingt (scheinbar) Widersprüchliches zu vereinen.
Nagaland im nordöstlichen Teil Indiens ist die Heimat von 17 Naga-Stämmen. Jeder dieser Stämme hat seine eigene Kultur, Traditionen und Sprache. Anders als auf dem indischen Festland haben die Naga ein eigenes Leben und eine eigene Geschichte, und das Christentum ist mit 87,93 Prozent die vorherrschende Religion.
© Foto: Mohamed Abdul Rasheed/unsplash | Stammesidentität und christliche Identität lassen sich vereinen.
Die Verbindung von Stammesidentität und Christentum ist weitgehend historisch bedingt. Das Aufkommen des Christentums hat im Leben der Naga-Gemeinschaft einen gewaltigen sozialen und kulturellen Wandel und eine Veränderung bewirkt. Inmitten von Kolonialismus, Krieg, Aberglauben und Animismus haben die amerikanischen Baptistenmissionar*innen das Evangelium der Liebe, der Hoffnung, des Friedens, der Versöhnung und der Erlösung in die Herzen der Naga gesät. Infolgedessen wurden Feindschaft und Krieg zwischen verschiedenen Stämmen, Dörfern und Clans beendet. Es kam zu Friedensverträgen, Vergebung und Freundschaften. Das Evangelium hat einen großen Einfluss auf das Leben der Stammesgemeinschaft.
Die Annahme des Christentums führte zu einer Identitätskrise
Heute leben alle Stämme und Dörfer in Harmonie und achten und respektieren einander trotz der kulturellen und traditionellen Unterschiede. Der Geist des Christentums als eine Religion des Friedens besteht weiterhin fort. Im Zuge der Christianisierung wurde jedoch das Wesen unserer Stammesidentität abgelehnt und aufgegeben. Die Stammesangehörigen waren gezwungen, einige ihrer kulturellen Werte und ihr Erbe aufzugeben, und wurden gezwungen, einen von der westlich-christlichen Kultur beeinflussten Lebensstil anzunehmen. Das Feiern von Erntefesten, Volksliedern, Tänzen und Trachten wurde als unchristlich und minderwertig angesehen. Folglich wurde die eigenständige Identität der Naga sogar von den Stammes-Christ*innen selbst als irrelevant betrachtet. Mit anderen Worten: Die Annahme des Christentums führte zu einer Identitätskrise der Stämme.
Erst viel später, mit christlicher und formaler Bildung, wurde uns bewusst, wie wichtig es ist, unsere eigene Stammeskultur und Weltanschauung zu verstehen und zu schätzen. Die Essenz unserer Stammesidentität, Ethik, Werte und Traditionen sind Teil unseres reichen Erbes. Deshalb versuchen heute viele Programme, Projekte und Regierungsmaßnahmen, die kulturellen und traditionellen Werte der Stammesgesellschaft der Naga wiederzubeleben und zu erhalten. Viele Forschungsbereiche wurden in Angriff genommen, um die Stammesidentität zurückzuerobern und die Naga-Gemeinschaft gegen korrumpierende Einflüsse der Moderne zu wappnen, und viele Wissenschaftler*innen haben das Stammesverständnis von Gott, Kultur, Ethik und Gemeinschaftswerten theologisiert.
Die Lösung: Eine Lesart der Bibel, die den Stamm miteinbezieht
Naga und Christ*in zu sein, sind zwei verschiedene Identitäten. Naga zu sein bedeutet, dass wir die kulturellen Werte und das Erbe unserer Vorfahren hochhalten und bewahren wollen, und Christ*in zu sein bedeutet, dass wir an einem Glaubenssystem gemäß der Heiligen Schrift festhalten. Beide Identitäten sind bedeutsam und wichtig im Leben der Stammesangehörigen. Die Brücke zwischen Stammesidentität und christlicher Identität ist die stammesbezogene Lesart und Interpretation der Heiligen Schrift, die unser tiefes Verständnis des Christentums und Gottes geprägt hat. Mit der hermeneutischen Linse, die der Stamm bildet, ist es nun klar, dass das Christentum keine aufgezwungene Identität ist, sondern eine Identität der Selbstreflexion im Licht des Evangeliums.
Doch mit dem Aufkommen von mehr Missionar*innen und dem Wachstum der Kirchen wurde die christliche Identität aufgrund von Konfessionen und Sektierertum mit einer gewissen Spaltung konfrontiert. Diese Spaltung der Identitäten hat zu einer Kluft zwischen den Stammesgemeinschaften geführt, die eine andere stammesbezogene und theologische Weltanschauung vertreten. Baptist*innen, Katholik*innen, Erweckungsgemeinschaften, Pfingstgemeinden und Presbyterianer*innen sind heute die wichtigsten christlichen Gruppen. Diese christlichen Identitäten wurden jedoch allmählich durch unterschiedliche geistliche Identitäten ersetzt, die auf der Konfession und den von uns besuchten Kirchen basieren. Die christliche Identität bleibt also dieselbe, aber die spirituelle Identität gibt dem Leben jetzt einen Sinn, der mit den eigenen Grundwerten übereinstimmt. So ist es auch mit der Stammesidentität. Sie ist eine gemeinsame Identität, die von den Stämmen einstimmig angenommen wird und in der ein Gefühl der Einheit herrscht.
Moasenla
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