Keine Chance auf eine bessere Welt? – Oder: Die Angst vorm Weiterdenken

Viele zivilgesellschaftliche Gruppierungen, besonders die international engagierten, setzen sich für die Vision von der Einen Welt ein, die gerechter, verantwortungsvoller, gesünder und vor allem eine Welt für alle Menschen sein soll, anstatt weiter das Wohlergehen einer privilegierten Minderheit zu vermehren. Mit dabei sind kirchliche Akteur*innen wie Brot für die Welt und auch Mitglieder der Evangelischen Mission Weltweit (EMW). Bei diesem Engagement geht es nicht nur um Symptombekämpfung. Es geht außerdem darum, grundlegend etwas zum Besseren zu verändern. Vielversprechende Ansätze dafür sind da, aber der Widerstand ist groß. Und die Blockade in den Gehirnen leider mächtig.

Vier Wochen 2022. Ein neues Jahr hat gerade begonnen. Zu kurz, um seriöse Prognosen über seinen Verlauf abzugeben. Aber allemal lang genug, um die ersten der berüchtigten guten Vorsätze bis zum nächsten Jahreswechsel einzumotten. Nach seinen eigenen Maßstäben ist der Mensch halt ein inkonsequentes Wesen, könnte mwd (alternativ für „man“) jetzt achselzuckend feststellen und weitermachen.

Aber, Moment mal: Wollen wir nicht alle, dass die Welt besser wird? – Gerechter? – Toleranter? – Sauberer? – Satter?

Das ist doch ein Vorsatz, den wir alle jederzeit unterschreiben würden. Wir: Das sind die kirchlich und/oder zivilgesellschaftlich Engagierten, die Politik, die Wirtschaft, und ja, jede*r Einzelne, also ein maximal heterogener Haufen, der sich aber doch über ein paar kleinste gemeinsame Nenner einig sein will. Aber wie ernst meinen „wir“ das? – Bei etwas genauerem Hinsehen ergeben sich Zweifel.

Sie fordert Gerechtigkeit vor dem Hauptsitz des UN Menschenrechtsrats in Genf. © Foto: Víctor Barro/Friends of the Earth International | Sie fordert Gerechtigkeit vor dem Hauptsitz des UN Menschenrechtsrats in Genf.

Ende Oktober 2021 fand in Genf die siebte Verhandlungsrunde zu einem UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte, dem so genannten UN Binding Treaty, statt. Die deutsche Vertretung, die bislang nur beobachtend an den Verhandlungen teilnahm, kritisierte den vorliegenden dritten Entwurf unter anderem als zu detailliert und zu „vorschreibend“.

Es ist zum Haareraufen: Da sind diverse brauchbare, ja vielleicht sogar potenziell euphorisierende Ansätze, aber wenigstens aus Europa geht – im übertragenen Sinn – niemand hin. Um es konkret zu fassen: Mit dem UN Binding Treaty wird im Auftrag des UN Menschenrechtsrats, also hochoffiziell, ein Abkommen verhandelt, das möglichst weltweit gleiche Standards in Sachen Arbeits-, Menschen- und Umweltrechte festschreiben und verbindlich machen soll. Jedes Land, das dem Abkommen beitritt, würde sich verpflichten, diesen Rechtekatalog in Gesetze zu gießen. Was dann dazu führen würde, dass jede*r diese Rechte direkt vor Ort auch vor Gericht einklagen könnte.

Ordentliche Arbeitsbedingungen, gute Bezahlung und sorgfältiger Umgang mit der Umwelt nach gleichen Standards, möglichst überall und – auch das ist wichtig: mit Vorrang vor wirtschaftlichen Abkommen, beispielsweise zum Investitionsschutz. Das ist eine Riesenchance! Wie lange haben Politiker*innen jeglicher Couleur gejammert, mwd könne da als einzelnes Land gar nichts machen, um die Verhältnisse zu verbessern, seien globale Lösungen notwendig. Et voilà: Über 100 Länder verhandeln seit 2014 genau eine derartige Lösung. Der Erlanger Völkerrechtler Markus Krajewski, ein international anerkannter Experte, beurteilt die bisherigen Entwürfe für das Abkommen als „angemessene und hinreichend klare Grundlage für substanzielle Verhandlungen“.

Globaler Süden verhandelt mit – Globaler Norden schaut zu

Aber es sind bis dato hauptsächlich Länder des Globalen Südens, die konstruktiv verhandeln. Der reiche Globale Norden schaut zu oder macht gleich deutlich, dass er eigentlich nichts von einem solchen Abkommen hält. Übrigens steht auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung nichts vom UN Binding Treaty. Immerhin hat die Bundesregierung für die Agenda ihrer G7-Präsidentschaft das Ziel „allgemeine Akzeptanz für global verbindliche Standards“ formuliert. Wenn aus dieser relativ nebulösen Formulierung konkrete Unterstützung für den Treaty-Prozess resultieren würde, wäre das eine hochhaushoch positive Überraschung!

Und was ist mit dem Lieferkettengesetz? – Die im vergangenen Jahr nach einer schier endlos scheinenden Hängepartie dann doch noch auf den letzten Drücker verabschiedete deutsche Variante kann nur positiv sehen, wer sich halt einfach auch mal freuen will. Eine Haftung für Unternehmen fehlt zum großen Teil bzw. sind die Klagewege äußerst umständlich. Das Gesetz gilt für viele Unternehmen gar nicht. Und nicht zuletzt greift die Sorgfaltspflicht auch bei weitem nicht entlang der kompletten Lieferkette. Einige, auch die zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich für ein wesentlich stärkeres Lieferkettengesetz eingesetzt haben, hoffen nun auf das angekündigte EU-Lieferkettengesetz. Doch auch hier das gleiche Spiel: ursprünglich für Juni 2021 angekündigt, wurde die Veröffentlichung eines ersten Gesetzentwurfs im Dezember 2021 zum wiederholten Mal vertagt. Dass die EU-Variante am Ende wesentlich weiter gehen wird als die deutsche, darf bezweifelt werden.

So weit, so, nun ja, „bescheiden“. Die politische Mehrheit Europas hat offenbar kein wirkliches Interesse an der globalen Lösung, die sie selbst nicht müde wird zu fordern. Der ökonomische Mainstream sowieso nicht.

Verhandlungsprozess – nicht Wunschtraum

Aber was ist mit der Öffentlichkeit, mit der Gesellschaft. Was ist mit uns? – Warum gehen wir nicht auf die Straße für ein starkes Binding Treaty, warum berichtet kaum eine Zeitung darüber? – Warum interessiert das kaum jemanden, obwohl es doch … und so weiter?

Dazu eine kleine Anekdote: Pressekonferenz zu einer Aktion des Menschenrechtsbüros einer deutschen Großstadt, an der sich mehrere zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen beteiligen. Der anwesende Pressevertreter wird unter anderem auch haarklein und ausführlich über das Binding Treaty informiert. In seiner Zeitung beschreibt er das dann als persönlichen Wunschtraum der Person, die ihn darüber informiert hat. Die Tatsache, dass das ein hochoffizieller Verhandlungsprozess unter dem Dach der UN ist, ignoriert er komplett.

Nehmen wir das als Gleichnis und treten dem Journalisten nicht zu nah, könnte die Deutung lauten: Vielleicht ist es so, dass wir schlicht nicht mehr glauben können, was vorgeblich nicht sein kann. Das neoliberale Mantra vom Ende der Geschichte, das auf ein „Du sollst kein System neben mir haben außer dem Diktat der Märkte“ hinausläuft, hat uns zutiefst infiltriert. Wir hoffen vielleicht noch, an einzelnen Schräubchen zu drehen und einzelne Probleme lösen zu können. Aber vor der möglichen Erkenntnis, dass viele wichtige, zentrale Lösungen ein grundsätzliches – ja systemisches – Umdenken, oder jedenfalls einen klaren Wechsel von Prioritäten erfordern könnten, legen wir uns fast schon panisch selbst die Scheuklappen an. Die Philosophen Antonio Negri und Michael Hardt haben in ihrem Buch „Empire“ sinngemäß geschrieben, die Menge müsse sich ihrer Macht bewusst werden, damit sich am Zustand der Welt etwas zum Besseren verändern könne. Davon, so scheint es, sind wir derzeit weit entfernt.

Thomas Nagel


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