Kirche braucht den weltweiten Blick

Kirche ist viel mehr, als die eigene Gemeinde vor Ort. Christ*in in der weltweiten Ökumene zu sein, bedeutet daher auch, mehr und mehr Weltbürger*in zu werden. Die ÖRK-Vollversammlung in Deutschland bietet eine tolle Möglichkeit, ihre Besucher*innen und Teilnehmer*innen neugierig auf ein Engagement in der Ökumene zu machen, meint EMW-Direktor Rainer Kiefer. Denn Ökumene ist zukunftsweisend.

Am 31. August ist es so weit! Dann beginnt die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen. Acht Tage lang wird die weltweite Christenheit in Karlsruhe zu Gast sein und Delegierte und Berater*innen aus 352 Kirchen werden über Zukunftsthemen, Megatrends und gemeinsame Herausforderungen beraten und beschließen. Zu diesem Anlass erwartet Karlsruhe auch Besucher*innen aus vielen Regionen Deutschlands und Europas. Ausstellungen und Workshops etwa im „Brunnenbereich“ und weitere Angebote an mehreren „Begegnungsorten“ sollen Einblicke in ein vielfältiges internationales ökumenisches Engagement gewähren und Begegnungen mit Gästen aus aller Welt ermöglichen.

Ökumenisches Engangement ist immer auch ein Abenteuer. © Foto: Marcelo Schneider/WCC | Ökumenisches Engangement ist immer auch ein Abenteuer.

Natürlich wünschen sich alle, die zurzeit in Genf, Karlsruhe und Hannover die Vollversammlung vorbereiten, dass Interesse und Neugier groß sind und sich viele Menschen nach Karlsruhe aufmachen. Zum ersten Mal seit Gründung des ÖRK ist die ökumenische Bewegung mit einer Vollversammlung in Deutschland zu Gast. Eine große Chance auch medial die Vielfalt und die Anliegen einer weltweiten Christenheit abzubilden.

Ein Plädoyer für eine Kirche mit weitem ökumenischem Blick

Dass Kirche weit mehr ist als das, was wir in unseren jeweiligen Gemeinden vorfinden, machen seit Jahrzehnten die Kirchentage deutlich und darin liegt wohl auch ihr Reiz. Wer Kirchentage besucht, freut sich an der bunten Vielfalt evangelischen und katholischen Lebens in Deutschland und Europa. Es tut gut zu erfahren, dass wir viele, ja manchmal sehr viele sind und es macht Mut anderen Christen*innen zu begegnen und mit ihnen zu reden, zusammen zu singen und zu feiern. Mit so mancher Anregung und Idee kommen die Kirchentagsbesucher*innen dann nach Hause und manchmal gelingt es, wenn auch nicht immer, in der eigenen Gemeinde das eine oder andere an neu Erlebtem weiterzugeben und vor Ort einzuführen. Zur Kirchentagserfahrung gehört aber eben auch, dass der Alltag in der Kirchengemeinde Innovationen Grenzen setzt und es dann schon ein Erfolg sein kann, wenn Lieder aus dem christlichen Festival im Gottesdienst vor Ort gesungen und Gebete und liturgische Texte übernommen werden.

Nach meiner Erfahrung gilt dies in ähnlicher Weise auch seit vielen Jahre für das Engagement in der kirchlichen internationalen Partnerschaftsarbeit. Für viele Menschen in den Gemeinden, die ich vor Augen habe, bedeutet die Partnerschaftsarbeit so etwas wie ein neugieriger und mutiger Blick über den Tellerrand. Christ*innen aus einer anderen Region der Welt nehmen Kontakt auf, kommen zu Besuch und laden zu Gegenbesuchen ein. Eine neue Welt öffnet sich. Das Teilen des Alltags, Begegnungen in einem bisher fremden Kontext und die gemeinsamen gottesdienstlichen Feiern werden zu einer großen Bereicherung und bescheren eine ganze Reihe von Aha-Momenten. Das gilt für den Gottesdienst, der selbst schon innerhalb einer Konfessionsfamilie an unterschiedlichen Orten der Welt sehr unterschiedlich gefeiert wird. Das betrifft aber auch die Form, in der der Glaube individuell gelebt wird und im Alltag zum Ausdruck kommt. Ganz zu schweigen von den Unterschieden in der Gestaltung des Gemeindelebens und den jeweils gegebenen Traditionen.

Gemeinsame Herausforderungen werden erkennbar

Die ÖRK-Vollversammlung steht unter dem Motto „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt.“ © Foto: Marcelo Schneider/WCC | Die ÖRK-Vollversammlung steht unter dem Motto „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt.“

Diese Beleuchtung im ökumenischen Kontext bereichert und ermöglicht einen selbstkritischen Blick auf den gelebten Glauben, die je eigene Form Kirche zu sein und Gemeinde zu gestalten. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass die Herausforderungen in den unterschiedlichen Kontexten immer auch vergleichbar sind oder dass wir eben gemeinsam vor den gleichen Herausforderungen stehen. Das gilt für Traditionsabbrüche, mit denen sich Gemeinden in Deutschland in ähnlicher Weise auseinandersetzen müssen wie Gemeinden z. B. im Südlichen Afrika oder Lateinamerika. Dass in den sogenannten Minderheitenkirchen in der Diaspora zum Beispiel in Mittel- und Osteuropa ein bewundernswertes Engagement in der Gesellschaft im Sinne von Zeugnis und Dienst ohne ein stabiles Kirchensteuersystem möglich ist, gehört für mich persönlich zu den aufregenden Entdeckungen am Anfang meines Berufslebens. Hier gibt es einiges anzuschauen und zu lernen, was für die Gestaltung und Fortentwicklung der Kirchen in Deutschland maßgeblich sein kann. Es tut gut zu erkennen, dass wir international Herausforderungen teilen und in aller Unterschiedlichkeit als Kirchen gemeinsam unterwegs sind. Die Änderung des Lebensstils und die Notwendigkeit eines gemeinsamen Handelns angesichts der Herausforderungen des Klimawandels sind dafür ein gutes Beispiel. Nicht nur dazu werden in Karlsruhe interessante Workshops angeboten!

Die weltweite Ökumene trifft sich in Karlsruhe © Foto: Sven Masuhr/unsplash | Die weltweite Ökumene trifft sich in Karlsruhe

Ökumenische Weite – nur eine Zugreise entfernt

Am Rande der Vollversammlung wird es möglich sein, in einer Stadt in wenigen Tagen Menschen verschiedener Geschlechter aus allen Generationen aus 352 Mitgliedskirchen des ÖRK zu treffen und sie in ihrer Vielfalt in Gottesdiensten und thematischen Foren zu erleben. Was sonst lange Reisen notwendig macht, liegt im September eine Zugreise weit entfernt.

Doch auch ohne Interkontinentalflüge kann der weite Blick der Ökumene im 21. Jahrhundert natürlich gepflegt werden. Hier helfen soziale Medien und Videokonferenzen sehr. Darüber hinaus ist festzuhalten: die Zusammenarbeit mit den Migrationskirchen in unserem Land, den internationalen Gemeinden und die Begegnungsmöglichkeiten mit Menschen, die aufgrund von Flucht und Vertreibung oder aus anderen Gründen bei uns eine Heimat suchen, bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte für persönliches und gemeindliches Engagement, das durch ökumenische Weite geprägt ist und uns in Bewegung bringt. So wird deutlich: Christ*in zu sein und zu bleiben, bedeutet immer auch ein*e Weltbürger*in zu werden.

Ich hoffe sehr, dass die Vollversammlung mit all ihren ökumenischen Programmen neugierig macht und den Blick für die Chancen ökumenischen Engagements zuhause weitet.

Rainer Kiefer


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