Klimawandel – Kirche muss raus aus der Floskelblase

Der biblische Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung verkommt mehr und mehr zu einer Floskel im Gottesdienst. Floskeln verhindern jedoch, dass tatsächlich etwas Produktives in puncto Klimawandel vonseiten der Kirche passiert, meint Julia Rau und fordert: Kirche muss raus aus der Floskelblase.

Vermutlich kennt jede*r diesen einen Gruppenchat, sei er auf WhatsApp, Telegram oder einer anderen Plattform. Ich bin drin und kann aus persönlichen Gründen nicht austreten. Die ständig neuen Nachrichten will ich aber auch nicht lesen. Und wenn ich ganz ehrlich bin, möchte ich nicht einmal die Benachrichtigungen auf meinem Handydisplay sehen. Deshalb wird die Gruppe kurzerhand auf stumm geschaltet.

Floskelblasen verhindern wirkliche Ansätze © Foto: Elisabeth Arnold/unsplash | Floskelblasen verhindern wirkliche Ansätze

Analog passiert aus meiner Sicht dasselbe in der Kirche und damit auch bei den Menschen, die einen individuellen Bezug zu ihr haben, wenn es um den Klimawandel geht. Ich erlebe, dass in öffentlichen Predigten häufig entweder die Worte „Bewahrung der Schöpfung“ erklingen oder, dass die „Apokalypse“ bevorstünde. Ich habe den Eindruck, dass mittlerweile von diesen Begriffen in einem solch inflationären Maß Gebrauch gemacht wird, dass sie mehr und mehr wie Floskeln erscheinen. Aber dadurch wird das wahre Problem, nämlich der Klimawandel, in den Hintergrund gerückt. Oder, um an dieser Stelle das Bild des übermäßig vollen Gruppenchats wieder aufzunehmen: Es wird auf stumm geschaltet und die selbstreflektierte Auseinandersetzung mit dem Klimawandel wird vertagt.

Floskeln verschleiern das Problem

Im Jahr 2008 veröffentlichte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland im Zusammenhang mit der Frage nach dem Auftrag der Kirche Folgendes:

„Die Legitimation der Kirche, sich zu politischen und gesellschaftlichen Fragen zu äußern, beruht nach ihrem Selbstverständnis auf dem umfassenden Verkündigungs- und Sendungsauftrag ihres Herrn.“ Die Kirche ist daher nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, die ihr aufgetragene Botschaft so umfassend und allgemein zugänglich, also öffentlich, zu Gehör zu bringen, dass deren Bedeutung für alle Menschen und Völker und für alle Bereiche unseres Lebens vernehmbar wird. (Rat der EKD: Das rechte Wort zur rechten Zeit. Eine Denkschrift des Rates der EKD zum Öffentlichkeitsauftrag der Kirche, Gütersloh 2008)

Es ist demnach vollkommen nachvollziehbar, wenn sich innerhalb der Kirche auch zum Klimaschutz geäußert und dieser ebenfalls biblisch begründet wird. So lautet ihr Auftrag. Es ist nur zu hinterfragen, inwiefern diese Äußerungen tatsächlich in ihrer Folge positive Auswirkungen auf das Klima haben? Menschen, die sonntags in den Gottesdienst gehen oder sich öffentliche Predigten ansehen, wissen meines Erachtens von den globalen Problemen. Sie können nicht ausgeblendet werden, da die Medien ständig die aktuellen Ereignisse vermitteln. Wenn sich jemand am Wochenende in die Kirche begibt, dann weil er oder sie aus meiner Sicht einen Gottesdienst besuchen will, der eine Predigt zu bieten hat, in der die Botschaft verkündigt und die eigenen alltäglichen Probleme als ebenfalls relevant betrachtet werden.

Durch den Glauben Kraft für die anstehende Zeit sammeln

Es geht darum, durch den Glauben Kraft für die anstehende Zeit zu sammeln, also um die seelsorgliche Aufgabe einer Predigt. Eine „Moralpredigt“, die auf den Klimawandel verweist, ist an dieser Stelle wohl nicht das, was die Menschen in einem Gottesdienst brauchen. Ich vermute sogar, dass das Gegenteil der Fall sein könnte: Wenn es der Kirche nicht einmal selbst gelingt, klimaneutal zu sein, dies aber von den Menschen verlangt, verliert sie und somit auch die biblische Begründung ihrer Aussagen an Authentizität – sie wäre einmal mehr in der Floskelblase. In diesem Zusammenhang kommt die Frage auf, ob die Kirche in ihrer Verkündigung denn überhaupt etwas tun kann, um einen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten? Jedenfalls haben Untersuchungen, wie die Urban Green Religions Studie aus dem Jahr 2021, gezeigt, dass die Motivation von Gläubigen sich für den Klimaschutz einzusetzen, nicht primär mit ihrer Religion zusammenhängen würde. Vielmehr seien es naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse, die zu einem Umdenken führen.

Weg von der Floskel hin zum biblischen Votum

Soll demnach die Kirche schweigen, wenn es um den Klimawandel geht? Meine Antwort lautet klar: Nein, sie soll nicht untätig sein, sondern handeln. Klimaneutralität muss endlich in der Kirche etwas absolut Selbstverständliches werden. Somit könnten die aus meiner Sicht derzeitigen Floskeln wieder als ein ernstzunehmendes biblisches Votum verstanden werden – zwar nicht im Gottesdienst, da hier der Schwerpunkt meines Erachtens besonders auf dem seelsorglichen Aspekt liegen sollte; aber an anderen Stellen. Beispielsweise wäre eine biblische Begründung dann hervorragend geeignet, um bereits bestehende gute kirchliche Arbeit hinsichtlich des Klimaschutzes in verschiedenen Medien zu zeigen.

So betrachtet, um ein letztes Mal auf die Gruppenchat-Metapher zurückzukommen, beteilige ich mich häufig erst aktiv an einem Austausch, gerade bei unbequemen Themen, wenn ich begreifen kann, dass es für mein Gegenüber eine wirkliche Dringlichkeit hat. Wenn die Kirche diese Botschaft – die Notwendigkeit des Klimaschutzes – durch ihr Handeln klar kommunizieren kann, würde sie einen enormen Beitrag leisten, der nicht im Gewirr vieler Meldungen untergeht.

Julia Rau


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