Mein Traum in Blau – Ozeane brauchen konsequenten Schutz
Bewahrung der Schöpfung ist ein Kernanliegen aller Christ*innen und wird auch von Kirchen und kirchlichen Organisationen vermehrt ins Zentrum des eigenen Handelns und des gesellschaftlichen Engagements gerückt. Rund 70 Prozent dieser Schöpfung bestehen – die Bezeichnung „Blauer Planet“ kommt nicht von ungefähr – aus Meer. Vielerorts, vor allem im Pazifik-Raum, sind kirchliche Organisationen federführend bei Protesten gegen die Verschmutzung und Ausbeutung der Meere engagiert. Denn die Ozeane sind wichtige Lebensräume und bestimmen auch die klimatischen Verhältnisse maßgeblich mit. Deshalb ist die Bewahrung dieses reichhaltigen Ökosystems entscheidend für viele Aspekte des Umwelt- und Klimaschutzes. Die Ozeandekade der Vereinten Nationen will dieses Thema verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit rücken.
Das Meer, ich liebe es wirklich. So sehr, dass ich – notfalls in kitschigsten Klischeebildern von Fußspuren im weißen Sand, azurblauen Wellen und einem endlosen Horizont – davon träume, weil ich in letzter Zeit pandemiebedingt nicht hinfahren konnte. Deshalb brauche ich persönlich keinen Anlass, kein Gesetz, auch keine Organisation, die mir sagt, dass das Meer im, am und unter Wasser schützenswert ist. Nicht für unbeschwerte Urlaubserlebnisse, sondern vor allem, damit die über 200 Millionen Küstenbewohner*innen weltweit weiterhin ihren Ernährungsbedarf durch die Ressourcen des Meeres decken können.
Dass ich meinen Müll vom Strand wieder mitnehme und zu Hause Wattestäbchen nicht in der Toilette entsorge, finde ich selbstverständlich. Berufsbedingt verfolge ich auch die neuesten Forschungen zu den Möglichkeiten, Plastikmüll aus den fünf großen Müllstrudeln im Pazifik „einzusammeln“ und ihn zu recyceln. Sporadisch arbeite ich mich durch die fachwissenschaftliche, meist englischsprachige Literatur von Wissenschaftler*innen diverser Forschungseinrichtungen, die die ganze Bandbreite der Ozeanforschung abdecken – von der GPS-Verfolgung bedrohter Schildkröten über die Korallenbleiche am australischen Great Barrier Riff bis hin zu Wetterphänomenen, Strömungsgeschwindigkeiten und der (geplanten) Nutzung von Ressourcen aus der Tiefsee. Aber der Aufwand, der dafür notwendig ist, ist angesichts der weit verzweigten Bereiche und Disziplinen der Meeresforschung einen ansatzweisen Überblick zu behalten, immens.
© Foto: Jenny Peters | Die Ozeandekade wird Anstrengungen unternehmen, um die Ozeane und die Küsten gesund zu erhalten.
Die im Juni vergangenen Jahres eingeläutete UN-Dekade der Ozeanforschung für Nachhaltige Entwicklung (kurz: Ozean-Dekade) könnte da Abhilfe schaffen. Die bis 2030 angelegte Kampagne will den Schutz der Ozeane mehr in den Fokus der Öffentlichkeit rücken und gleichzeitig die Erkenntnisse aus unterschiedlichen Disziplinen der maritimen Forschung besser bündeln. Das ist gut. Denn die Wissenschaft liefert bereits heute jede Menge Daten über den Zustand der Ozeane. Aber ich habe den Eindruck, dass hier jede*r nur so vor sich „hinprüttelt“ und dass es keine weltweite gemeinsame Strategie für den Schutz der Meere gibt. Im Rahmen der Dekade sollen nun alle Beteiligten gemeinsam daran arbeiten, den Ozean gesund zu erhalten, ihn dabei aber auch nachhaltig zu bewirtschaften.
Wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie wir die Ozeane besser gegen die Folgen von Industrialisierung, Klimawandel, Massentourismus und Ressourcenausbeutung (industrieller Fischfang ist hier nur ein Beispiel) schützen können, reichen nicht aus. Wie immer sind konsequente politische Entscheidungen dringend notwendig, damit die wissenschaftlichen Erkenntnisse auch umgesetzt werden. Einige Pazifikstaaten gehen da mit gutem Bespiel voran und machen mir Mut: In Vanuatu herrscht ein Einweg-Plastik-Verbot, selbst Babywindeln (als eines der am häufigsten im Meer schwimmenden Produkte) sind verboten. Hawai’i hat alle Sonnencremes vom Markt genommen, deren Inhaltsstoffe störend in den Wasserkreislauf eingreifen und zudem die empfindliche Haut von Meerestieren schädigen könnten. Auf Fidschi vermitteln ältere Frauen den Enkelinnen wieder traditionelle Knüpftechniken mit getrockneten Palmblattstreifen, damit Frauen auf den Märkten mit Bastkörben einkaufen gehen können und nicht mit Plastiktüten. Den Einkaufenden ihre lieb gewordene Plastiktüte abzugewöhnen, ist ein ganz entscheidender Punkt: Jedes Jahr werden weltweit bis zu fünf Milliarden Plastiktüten verwendet. Zehn Prozent dieser Tüten landen in unseren Ozeanen und lassen jährlich 100.000 Meerestiere elendig verrecken.
„The Science we need for the Ocean we want“
Die Ozeandekade will all diese Forschungsergebnisse und Projekte ermitteln, sie bündeln und auf einer Plattform allen Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zur Verfügung stellen. Die Best-Practice-Beispiele nicht nur wahrnehmen, sondern sie auch für das eigene Land übernehmen – so muss das eigentlich laufen! Deshalb finde ich das Motto der Dekade auch einfach klasse: „The Science we need for the Ocean we want“.
Dabei kann es nicht darum gehen, den Ozean zu einer „No-go-Area“ zu erklären. Menschen brauchen die Meere: für das tägliche Essen, für den Transport von Waren, zur Erholung, als Bindeglied zwischen Inseln und Kontinenten, als Klimaregulierungsfaktor – um nur einige Beispiele zu nennen. Das soll und muss so bleiben, aber es ist auch wirklich mal Zeit, kritische Fragen zur Ozeannutzung zu stellen: Müssen täglich hunderttausende Schiffscontainer über die Meere hin- und herfahren, oder lassen sich Produktionsketten auch regionaler steuern? Ganz banal: Benötige ich den in Asien hergestellten Chip oder kann auch irgendjemand in Europa diesen Chip herstellen? Sind – höchst umweltschädliche – Trips mit Luxus-Kreuzfahrtschiffen wirklich essentiell notwendig? Sind das Lebensglück und die ach so exotischen Kicks für diejenigen, die sich das leisten können und wollen, wichtiger als der Schutz der Meere?
Wenn sich im Laufe der nächsten zehn Jahre herausstellen sollte, dass wir genau das brauchen, dass wir also die Ozeane nicht nur zum Transport lebenswichtiger Güter benötigen, sondern zur Belustigung zahlender Eliten, dann passt mir diese Erkenntnis zwar gar nicht, aber immerhin wären sich dann alle an der Dekade beteiligten Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen einig, dass der Kreuzfahrttourismus ein eminent wichtiger Wirtschaftszweig für die Menschheit ist und deshalb nicht reduziert oder abgeschafft werden darf.
Hoffnung für die Zukunft
Ich wünsche mir natürlich ganz andere Ergebnisse in den nächsten Jahren. Ich wünsche mir, dass die Gefahren, die von geplanten Tiefseebergbauprojekten in Küstennähe von Mensch und Umwelt ausgehen, klar benannt werden. Ich wünsche mir, dass lokales Erfahrungswissen in wissenschaftliche Forschung zum Küsten- und Klimaschutz miteinfließt. Ich wünsche mir, dass sich Protestbewegungen gegen Meeresverschmutzung, die vielerorts maßgeblich von Kirchen unterstützt werden, vernetzen und solidarisieren und alle an einem Strang ziehen: die Küstenfischerin in Bangladesch, der Geschäftsführer einer Meerwasserentsalzungsanlage, die Holding einer Schifffahrtsgesellschaft oder so jemand wie ich, völlig unbekannt und doch täglich auf der Suche nach Ansätzen, wie ich in meinem Alltag zum Schutz der Meere beitragen kann.
Das ist dringend notwendig – Wenn die Klischeebilder der Meere nur noch aus Ölpest, durch Wirbelstürme zerstörter Infrastruktur, abgestorbenen Korallen, Haien ohne Schwanzflosse und weiteren leider realen Horror-Szenarien bestehen, ist es zu spät.
Julia Ratzmann
Verwandte Artikel
Sprache von allen für alle
Was darf man sagen und was nicht? Was muss ich alles berücksichtigen und kann ich überhaupt noch etwas sagen? Das Ringen um die Sprache spaltet aktuell…
Keine Chance auf eine bessere Welt? – Oder: Die Angst vorm Weiterdenken
Viele zivilgesellschaftliche Gruppierungen, besonders die international engagierten, setzen sich für die Vision von der Einen Welt ein, die gerechter,…