Mission – Was nun?
Mission ist reich an Geschichte und Tradition. Nicht immer ist sie aber positiv behaftet. Wie mit dem Begriff und der Geschichte gut umgehen? Fest steht: Mission muss sich verändern. Oder sollte sie besser ganz verschwinden? Und wie gelingt es Mitarbeitenden von Missionswerken, sich in diesem Zwiespalt zurechtzufinden? Martin Frank beschreibt in seinem Blogbeitrag, wie er mit Mission – Geschichte, Gegenwart und Begriff – für sich umgeht und was er sich vielleicht für die Zukunft wünschen würde.
Mission ist weltweiter Begriff im Wandel. Mich beschäftigt der Umgang mit diesem Wandel. Wo kann ich mich als Mitarbeiter einordnen, wenn ich mir die Geschichte der (Berliner) Mission anschaue? Vergangenes Jahr haben wir 200 Jahre Berliner Mission gefeiert und ich habe viel darüber nachgedacht, was wir im Missionswerk noch zu tun haben mit den Missionar*innen (lange Zeit nur Männer), die im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts von Berlin aus ausgesendet wurden. Warum sind junge Männer, überwiegend Handwerker, ab dem frühen 19. Jahrhundert als Missionare in den Süden und Osten der Welt ausgereist? Was hat sie dazu angetrieben in einer Zeit, in der die Forschungsreisen Alexander von Humboldts noch nicht lange zurücklagen. Abenteuerlust? Schwärmerischer Glauben? Sendungsbewusstsein? Den Wunsch, aus beengten Verhältnissen auszubrechen?
© Foto: Alp Ancel/unsplash | Wie kann Mission heute sein, wenn sie nicht mehr wie im 19. Jahrhundert den Teufel an die Wand malt?
In aller Kürze möchte ich meine Fragen, ja mein Unbehagen über die Geschichte unseres Missionswerks mit Euch teilen: Die europäischen Missionsgesellschaften waren in der großen Mehrheit Anhängerinnen der Erweckungsbewegung. Sie betonten die persönliche Glaubenserfahrung, teilten die Welt strikt in „Wir“ und die „Anderen“ auf und sie waren von einem endzeitlichen Kampf zwischen Gott und Teufel überzeugt, der bereits begonnen hatte.
Viele schrieben in ihren Motivationsschreiben an das Missionswerk von ihrer Bekehrung und von dem persönlichen Opfer, dass sie bringen müssten, um Menschen vom Teufel zu erretten. Was mich immer wieder positiv anspricht und auch rührt, wenn ich in den Berichten und Stationstagebüchern lese, die in den Archiven der Missionswerke lagern und deren Schatz vielfach noch gehoben werden muss: Die Berliner Missionar*innen sind auf dem sogenannten Missionsfeld der lokalen Bevölkerung in der Mehrzahl mit Sympathie und Hingabe begegnet. Sie sahen sie als Menschen an und verteidigten sie gegen die gewaltsame Landnahme der Siedler*innen und Kolonist*innen. Insofern zeigten einige von ihnen im imperialistischen Zeitalter, dass Menschlichkeit etwas Universales ist. Es gab auch durchaus Versuche, sich stärker auf die einheimischen Kulturen einzulassen: durch die Annahme der Kleidung, durch die Achtung der Musik, durch das Erlernen lokaler Sprachen und das Erstellen kulturell angepasster Bibelübersetzungen, durch die Stärkung kirchlicher Strukturen.
Zivilisationsmission – ein Paradoxon
Was mich irritiert und auch beim Lesen oft abstößt: Die Berliner*innen hatten gleichzeitig ein Überlegenheitsgefühl gegenüber den Menschen, denen sie neben dem Evangelium auch die deutsche „Zivilisation“ nahebringen wollten. Der Begriff Zivilisation war das meistgebrauchte Idiom des 19. Jahrhunderts. In ihrer kolonialen Logik mussten Menschen, die anders waren, einerseits „gleichgemacht“ werden, indem man sie „zivilisierte“. Hätte diese Gleichheit andererseits jedoch wirklich erreicht werden können, wäre die ideologische Grundlage der Kolonialherrschaft verschwunden.
Diesen Widerspruch konnten auch die Missionar*innen nicht auflösen. Sie setzten sich teilweise für brutale Steuereintreibungen ein. Sie ließen sich in Ostafrika von der deutschen Militärmacht beschützen und kämpften auch auf ihrer Seite. Wenige verarzteten dabei einheimische Kriegsverwundete und weinten über die Toten und Verwundeten. Noch Wenigere haben zwischen den Kolonialmächten und der lokalen Bevölkerung vermittelt, um Kämpfe zu vermeiden. Die Meisten blendeten die strukturelle und auch unmittelbare Gewalt der Kolonialmächte aus. Und darüber hinaus: Sie werteten einheimische Religionen und kulturelle Praktiken bis in die 1960er Jahre stark ab.
So, und nun? Wo sehe ich mich selber in dieser so ambivalenten Geschichte, was ist mir und uns bis heute als Erbe früherer Generationen in unserer Institution und in unserem Umgang mit den Partnerkirchen eingeschrieben? Natürlich knüpfe ich allzu gerne an der Haltung der universalen Menschlichkeit an, die bei manchen missionarischen Zeugnissen deutlich wird. Und haben wir uns in Berlin nicht grundlegend verändert, seitdem sich die Länder des Südens befreit haben und die alten „Missionskirchen“ unabhängig geworden sind?
Hinaus aus der Verstrickung von Kolonialismus und Imperialismus
Die Erfahrungen der beiden Weltkriege und der Emanzipationsprozess der Länder im Globalen Süden förderten, ja ermöglichten schließlich eine veränderte missionarische Arbeit. Die Berliner Missionar*innen, die in beiden Weltkriegen Ostafrika und nach dem 2. Weltkrieg China verlassen mussten, hatten erlebt, dass die von ihnen gegründeten Gemeinden auch ohne sie weiter existierten und sogar wuchsen. Die Aufnahme indigener Traditionen in Gottesdienst und Lehre wurde zwischen den Weltkriegen plötzlich möglich. Immer stärker wurde die Frage drängend, wie sich das Evangelium zeit- und ortsgemäß verkünden lässt. Aus den „Missionskirchen“ wurden sogenannte „Junge Kirchen“, mit der Zeit selbständige Kirchen, Mitglieder im Ökumenischen Rat der Kirchen.
Nun reden wir in unserem ökumenischen Sprachgebrauch seit langem von Partnerschaften, von Mitgliedern eines Netzwerks, von unseren weltweiten Geschwistern. Wir versuchen, aus der unheiligen Verstrickung mit Kolonialismus und Imperialismus herauszuwachsen. Aber die bekannten Probleme jeder Partnerschaftsarbeit, wie das fortwährende finanzielle Machtgefälle zwischen uns, die Besserwisserei oder die einseitige Konzentration auf Projektarbeit, haben sich kaum aufgelöst. Mission hat als Begriff in Europa sein Geschmäckle behalten. Die Verhaltensweisen aus früheren Zeiten kleben an uns, offensichtlich an unseren Strukturen, aber auch an der täglichen Arbeit, am „unendlichen Gespräch“ mit unseren Partner*innen. Ist es also eine Lösung, auf den Begriff Mission zu verzichten, wie es nun das „Ökumenewerk der Nordkirche“, ehemals das „Zentrum für Mission und Ökumene“, getan hat? Bekommen wir dadurch besser einen Fuß in die Tür der postmodernen Gesellschaft?
Ich fühle keinerlei Impetus, das Evangelium mit so viel Selbstbewusstsein weiterzusagen, wie es beispielsweise unsere äthiopischen Partner*innen in der Mekane Yesus Kirche tun. Ihre Situation ist eine völlig andere als bei uns. Ihre Kirche wächst, so sagen sie es mir, durch Verfolgung, Gebet und starke Leitung. Diese drei Merkmale haben wir hier nicht (mehr), und zumindest Verfolgung und starke Leitung sehne ich auch nicht herbei. Aber wie kann ich mich mit ihnen auseinandersetzen, wenn wir den Begriff Mission aus unserem Wortschatz streichen – während sie von Mission als der DNA ihrer Kirche sprechen?
Schämen wir uns fürs Christ*in-Sein?
Jemand hat mir mal gesagt, er wolle in „bold humility“ (also in mutiger Bescheidenheit) Zeugnis von der Liebe Gottes und der Gleichheit aller Menschen geben. Kann ich den Begriff Mission nicht auf diese Weise weiter gebrauchen? Lässt sich unser Minderwertigkeitskomplex in Bezug auf die Weitergabe des Evangeliums, den uns die Partner*innen im Süden bescheinigen, nur auf unsere oft unheilvolle Geschichte zurückführen? Oder sind wir so zurückhaltend geworden, weil wir uns „des Evangeliums schämen“, wie es Paulus schon beschrieben hat? Unser kirchliches Zeugnis ist oft nicht mehr in der Öffentlichkeit sichtbar.
Könnten wir es im Berliner Missionswerk nicht auch als unsere Mission bezeichnen, wenn wir mit unserem biblischen Menschenbild gegen Populismus protestieren, gegen eine menschenverachtende Asylpolitik, gegen unzureichenden Klimaschutz? Nach meiner Erfahrung verstehen mich unsere Partner*innen besser, wenn ich versuche, auf meine Weise „Licht der Welt“ zu sein, anstatt es nicht mehr zu wagen, Zeugnis von meiner Hoffnung zu geben. Meine persönliche Mission sehe ich dabei in dem ununterbrochenen Gespräch mit den Partner*innen mit Wertschätzung, Offenheit und Vertrauen. Dieses Gespräch ist für mich immer wieder eine beglückende Erfahrung, besonders wenn wir uns sehen.
In der neuen Ausstellung im Haus zu unserem Jubiläum namens „Mission:Reflexion“ haben wir ein Abschlusswort formuliert: „Die Weltbilder früherer Missionar*innen prägen unsere Wahrnehmung zum Teil bis heute. Daher ist es uns ein Anliegen, sichtbar zu machen, wie wir davon beeinflusst sind. Diese Ausstellung ist ein Schritt, die Geschichte der Berliner Mission aufzuarbeiten.“ Für mich ist es nur ein erster Schritt. Vielleicht wäre es Zeit für eine neue Erweckungsbewegung, die gemeinsam mit unseren Partner*innen geschieht, uns durchrüttelt, die Machtverhältnisse verändert und nicht mehr wie im 19. Jahrhundert den Teufel an die Wand malt.
Martin Frank
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