Rassismus und Kirche – Ist die Kirche noch zu retten?
Die Kirche zählt sich zu den „Guten“. Hier seien alle willkommen. Doch ist das wirklich so? Immer mehr Menschen of Color wenden sich von der Kirche ab oder ihr gar nicht erst zu. Der Grund: Sie finden sich dort nicht repräsentiert und gerade eben nicht willkommen. Rassismus-kritische Veränderung tut also not. Sarah Vecera glaubt an und arbeitet für ihren Traum von einer Kirche ohne Rassismus. Aber ist die Institution Kirche wirklich noch zu retten? Eine Frage, die die Bildungsreferentin der Vereinten Evangelischen Mission nicht nur in ihrem Arbeitsalltag, sondern auch auf ihrem Instagram-Kanal gestellt bekommt.
Warum möchtest Du eine Institution verändern, die doch so mit Rassismus kontaminiert ist, dass sie eigentlich nicht mehr zu retten ist? Nur eine von vielen Fragen, die mir Menschen auf Instagram stellen. Ziemlich ernüchternd. Und ich verstehe diese Bedenken sogar und teile sie großteils, allerdings bin ich biografisch und emotional verfangen und will Kirche nicht nur von der Seite betrachten. Ich selbst habe zwar Rassismus in der Kirche erfahren, aber das, was ich Positives durch Menschen und in meinem Glauben in der Kirche mitbekommen habe, will ich nicht missen. Neben all meiner Kritik, habe ich viele andere Menschen erlebt, die viel Gutes durch die Kirche erfahren haben. Und abgesehen von den zugegebenermaßen sehr subjektiven Erfahrungen bin ich davon überzeugt, dass Kirche von ihrem Ursprung nicht in der Form gedacht war, zu der sie sich entwickelt hat.
© Foto: Vlada Karpovich/Pexels | Old ways won't open new doors – Alte Wege öffnen keine neuen Türen.
Paulus warnte die ersten Hausgemeinden stets vor Spaltungen und schon in seinen Briefen wird deutlich, dass Kirche nie monokulturell gedacht war. Gott selbst schreibt von Genesis bis zur Offenbarung Geschichte mit Menschen, die am Rande standen und Unterdrückung erfahren haben.
Ich glaube fest daran, dass dieser weiß akademische Haufen an Kirche, wie sie heute in Deutschland existiert, nicht im Sinne der Erfinder ist. Wenn ich durch die Innenstadt gehe, nehme ich eine ganz andere Gesellschaft wahr, als jene, die mir in der Kirche begegnet. Gleichzeitig reden wir in Kirche ständig darüber, dass uns die Leute weglaufen und nehmen die 41 Prozent aller Kinder unter 6 Jahre und 25 Prozent aller Erwachsenen mit Migrationsgeschichte überhaupt nicht als potenzielle Mitgestalter*innen in den Blick – das ist rein betriebswirtschaftlich schon eine Katastrophe. Darauf will ich aufmerksam machen, dafür stehe ich ein und darum will ich weiter von einer Kirche ohne Rassismus träumen und immer mehr Menschen mitnehmen, um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.
Verleugnungsmuster und Abwehrmechanismen hinterfragen
Bleibt noch die Frage: Wie kam die Person auf Instagram zu solch einem harten Urteil über Kirche und meint, diese sei nicht mehr zu retten? Ich kenne mittlerweile viele Menschen of Color [Anm. d. Red.: Der Zusatz „of Color“ meint keine Hautfarben im biologischen Sinn, sondern ist ein Sammelbegriff von und für Menschen mit Rassismuserfahrungen aufgrund ethnischer Zuschreibungen.] , die der Kirche den Rücken zugewandt haben – der wohl bekannteste ist Muhammed Ali, der das rassistische Erbe der Kolonialzeit in der Kirche als ihr unauflösbares Kernproblem ansah und zum Islam konvertierte. Zum einen hat die Kirche tatsächlich ihre kolonialen Verstrickungen in der Entstehung der Rassenideologie kaum aufgearbeitet, aber das, was daraus bis heute resultiert, ist wohl das eigentliche Problem, warum sich Menschen of Color in der Kirche nicht sicher fühlen, obwohl Kirche selbst von sich behauptet, dass hier jede*r willkommen sei und wir alle gleich sind. Das stimmt aber eigentlich nur für weiße [Anm. d. Red.: weiß – meint ein Gesellschaftskonstrukt und keine Beschreibung der Hautfarbe; um dies zu betonen, wird es kursiv geschrieben], akademische, nicht-behinderte, heterosexuelle cis-Menschen [Anm. d. Red.: cis – sind Menschen, die sich mit dem von außen zugeschriebenen Geschlecht identifizieren], denn marginalisierte Menschen kommen in unseren Kirchen sehr selten als Mitgestalter*innen vor und wenn sie Diskriminierung ansprechen, wird diese nicht selten geleugnet. Das eigene Mindset von Kirche, zu „den Guten“ zu gehören, steht dem oft im Wege und Menschen können gar nicht wahrhaben, dass dies wirklich in unseren Reihen passiert. Ähnliche Muster lassen sich erkennen in der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in den Kirchen. Wir sollten aus dieser schmerzhaften Aufarbeitung lernen und unsere Verleugnungsmuster und Abwehrmechanismen ernsthaft hinterfragen.
Hoffnung darauf, gemeinsam auf anti-rassistischen Wegen unterwegs zu sein
Es ist daher auch kein Zufall, dass all die Menschen mit Migrationsgeschichte nicht als Akteur*innen unserer Kirchen auftreten. Als Hilfsbedürftige treten sie nämlich sehr wohl auf: Auf Spendenplakaten, Fairtradeprodukten, im Fürbittengebet oder in der Diakonie. Das alleine reicht aber nicht, um sich in einer pluralen Gesellschaft divers aufzustellen.
Kirche muss sich dringend selbstkritisch mit strukturellem Rassismus auseinandersetzen, wenn sie in Zukunft relevant bleiben will. Dazu muss sie sich fragen, wo ihre rassistischen Anteile in der Vergangenheit, wie auch in der Gegenwart sind. Menschen of Color müssen dazu empowert, hör- und sichtbar gemacht werden, weil vieles für weiße Menschen unsichtbar ist. Die Kirchen brauchen uns, weil wir viel besser verstehen, was Menschen einer pluralen Gesellschaft brauchen, um sich in Kirche wirklich wieder willkommen und angenommen zu fühlen.
Und dennoch: Ich bin nicht hoffnungslos. Es wird auf jeden Fall ein langer Weg, aber es war auch ein langer Weg, auf dem Kirche so homogen geworden ist und damit die ausschloss, mit denen Gott selbst in der Bibel Geschichte schrieb. Aber gerade in den vergangenen zwei Jahren sehe ich so viele Menschen, die sich auf einen Weg der Veränderung machen. Und das macht mir wirklich Hoffnung, auf guten anti-rassistischen Wegen gemeinsam unterwegs zu sein.
„Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist auf dem Weg. Vielleicht werden viele von uns nicht hier sein, um sie zu begrüßen, aber an einem ruhigen Tag, wenn ich ganz genau hinhöre, kann ich sie atmen hören.“ Dieses Zitat der indischen Schriftstellerin und politischen Aktivistin Arundhati Roy gibt mir persönlich Hoffnung und leitet mich bei meiner Arbeit.
Sarah Vecera
Buch-Tipp:
Von Anfang an war die Kirche für alle Menschen gedacht. Trotzdem gibt es auch in ihr rassistische Strukturen, die weißen Menschen meistens gar nicht auffallen. In ihrem Buch „Wie ist Jesus weiß geworden?“ macht Autorin Sarah Vecera auf diese Strukturen aufmerksam und erklärt, wie jeder und jede etwas dagegen tun kann. So will sie ermutigen, im Sinne des christlichen Glaubens eine Kirche zu gestalten, in der sich jede*r willkommen und angenommen fühlt. Es ist das erste Buch zum Thema Kirche und Rassismus.
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