Sprache von allen für alle

Was darf man sagen und was nicht? Was muss ich alles berücksichtigen und kann ich überhaupt noch etwas sagen? Das Ringen um die Sprache spaltet aktuell die Gesellschaft.

Zugegeben: Was wir jetzt gerade erleben ist unbequem. Sprache und mit ihr ihre Sprechenden sollen sich ändern. So tönt eine ziemlich laute Bitte aus immer mehr Teilen der Gesellschaft. Die Vielfalt soll sich auch in der Sprache zeigen. Nicht jede*r kann und will diesen Weg uneingeschränkt mitgehen. Warum muss sich Sprache und wie wir sprechen überhaupt ändern? Dabei ist die Tatsache, dass sich Sprache ändern und anpassen muss, insbesondere für Christ*innen gar nicht so neu. Christ*innen sind von Natur aus Kommunikator*innen, deren große Aufgabe es ist, die christliche Botschaft immer wieder neu zu formulieren. Seit 2000 Jahren wird sie für neue Zeiten und neue Orte übersetzt und fruchtbar gemacht. Und so verschieden wie die Menschen über zeitliche Grenzen hinweg sind und waren, sind sie es auch in ihrer globalen Vielfalt. Die weltweite Gemeinschaft der Christ*innen wird im kirchlichen Kontext gerne betont. Ich spüre zum Beispiel in den Worten des Abendmahls und des Vater Unsers die Verbundenheit mit meinen Geschwistern ganz besonders – vor mir, nach mir und neben mir.

Doch wenn ich dann sonntags die Kirchentür öffne, sehe ich keine bunte Gemeinde, sondern blicke in freundliche, ähnlich aussehende Gesichter. Und diese ähnlichen Gesichter sind es, die Strukturen schaffen, in denen sich kirchliches Leben abspielt.

Doch um abzubilden, wie vielfältig Christ*innen tatsächlich sind, muss Kirche vor Ort lernen, offen zu sein und in den Dialog zu treten. Zu erklären, aber auch zuzuhören. Zu benennen, aber auch benannt zu werden. Denn wenn plötzlich nicht mehr „männlich, über 50, weiß “ als der Normalfall beschrieben wird, fällt vielleicht auf, wie selbstverständlich das bisher der Fall war. [Anm. d. Red.: weiß ist ein Gesellschaftskonstrukt und keine Beschreibung der Hautfarbe o.ä. Um dies zu betonen, wird es kursiv geschrieben.]

So bunt und vielfältig wie dieses Wandmosaik in Amsterdam sind auch die Menschen in Kirche und Gesellschaft. Diese Vielfalt sollte sich auch in unserer Sprache widerspiegeln. © Foto: Giulia May/unsplash | So bunt und vielfältig wie dieses Wandmosaik in Amsterdam sind auch die Menschen in Kirche und Gesellschaft. Diese Vielfalt sollte sich auch in unserer Sprache widerspiegeln.

Und so landet man inmitten der Debatte um Vielfalt auch beim Thema Sprache, denn auch der Sprachgebrauch muss aktiv und vor allem gemeinsam gestaltet werden. Doch während die Ausgangsthese, dass Vielfalt erstrebenswert ist, nicht viel Widerspruch erfährt, erntet auch nur der kleinste Hinweis, dass ein Ausdruck diskriminierend sei hochgezogene Augenbrauen. Hier scheiden sich die Geister und Emotionen kommen hervor. Denn Sprache drückt nicht nur aus, was wir sehen und wahrnehmen, sondern ist Ausdruck unseres Seins, unserer Bildung, unserer eigenen Geschichte und Biografie. Sprache ist Ausdruck unserer Erfahrungen, Hoffnungen, Zukunft und dessen, was uns prägt und wichtig ist. Man übernimmt Worte von Menschen, die einem nahe stehen oder von Orten, zu denen man eine Beziehung hat. Darum wird es persönlich und geht an die Substanz, wenn man gebeten wird, die eigene Sprache kritisch zu hinterfragen und bekannte Formulierungen neu zu überdenken. Denn es geht nicht nur drum, ein Sternchen hinzuzufügen oder ein rassistisches Wort zu streichen, sondern darum, einzugestehen, dass man selbst die eigene Sprache, das eigene Denken und somit das tiefste Innere kritisch reflektieren muss.

Wenn meine Sprache kritisiert wird, trifft mich das im Kern. Meine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bündeln sich in Worten und Ausdrücken, Satzbau und Dialekt. Und nichts ist so individuell und so persönlich wie meine Sprache.

Sprache ist persönlich

Und dennoch – weil Sprache so eng mit der eigenen Identität und mit Überzeugungen und Geschichte verbunden ist – muss sie hinterfragt werden. Denn die eigene Sprache zu reflektieren, mag unbequem für mich selbst sein. Doch auf der anderen Seite befreit es andere. Ein bewusster und reflektierter Sprachgebrauch befreit all diejenigen, die „mitgemeint“, aber nie angesprochen werden, nimmt Schmerz von denen, die durch diskriminierende Bezeichnungen täglich ausgegrenzt und verletzt werden. Denn auch hier ist Sprache persönlich, trifft das tiefste Innere und Worte können verletzen. Und ein nur schnell dahin gesagtes Wort oder ein Ausdruck können das Gegenüber stark verletzen, ohne dass dies beabsichtigt war und oft auch ohne dass dies bemerkt wird.

Ein Bewusstsein für Begriffe zu entwickeln, die eine unbekannte oder nicht immer eindeutige Herkunft haben oder die wie natürlich Einzug in das alltägliche Vokabular gefunden haben, kann helfen unbeabsichtigte Verletzung zu vermeiden. Denn als Christ*innen sind wir dazu angehalten, Verletzung zu vermeiden und Not zu lindern. Ein bewusster Sprachgebrauch kann dabei helfen. Und genau darum muss Kirche sich, wie alle Christ*innen, in Rücksichtnahme üben und wieder einmal die Sprache angleichen, um sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen – wie schon so oft in den letzten 2000 Jahren.

Warum kommt es dann aber gerade im Blick auf die Debatte um geschlechtergerechte und nicht diskriminierende Sprache immer wieder zu erbitterten Diskussionen? Warum geht in diesen Diskussionen so schnell der Respekt vor der Position des Gegenübers und der Blick auf die Notwendigkeit des Diskurses verloren?

Vielleicht genau deshalb. Weil Sprache ins Zentrum trifft und es nicht nur um Satzzeichen, sondern um Identitäten geht. Doch hierbei ist der Respekt vor der jeweils anderen Seite von entscheidender Bedeutung. Wenn in der Debatte um geschlechtergerechte Sprache über Inklusion gesprochen wird, gilt es nicht zu diskutieren, wer mitgemeint werde und warum sich Schreibweisen auf Dauer nicht durchsetzen werden. Stattdessen geht es meiner Ansicht nach darum, Verletzung zu sehen und für diese dadurch Verantwortung zu tragen, dass die Situation nachhaltig verändert wird.

Ein Appell an die Solidarität

Gleichzeitig geht es aber auch darum, sensibel zu kommunizieren und deutlich zu machen, dass es eben nicht ein Angriff auf das tiefste, persönlichste Innere ist, sondern eine Forderung nach Gleichstellung und gelebter Vielfalt. Dass es nicht darum geht, jemandem etwas wegzunehmen und eine Formulierungsform aus Prinzipien, die nicht immer nachvollziehbar sind, zu verbieten. Stattdessen sollte an das Gefühl der Solidarität appelliert werden.

Auch als nicht betroffene Person gilt es für mich, einzusehen, dass gewisse Formulierungen, die ich vorfinde und mit denen ich lebe, problematisch sind – im ersten Moment vielleicht nicht für mich, aber eben für andere. Das Bewusstsein dafür, dass Solidarität ein wichtiges Mittel auf dem Weg zur Gleichberechtigung ist, gilt es zu schaffen. Denn dass Veränderung gebraucht wird, ist ja gar nicht der Streitpunkt.

Ich verstehe, dass Lernen ein Prozess ist, dass es für manche Formulierungen noch keine zufriedenstellende Lösung gibt und dass es natürlich auch eine unbequeme Umstellung sein kann, das eigene Vokabular anzupassen und den Sprachgebrauch zu hinterfragen.

Aber ich verstehe nicht, wie man aus Angst davor die Diskussion meiden kann. Die Veränderung ist notwendig. Ich vertrete für mich den Standpunkt, dass, sobald nur ein Mensch meinen Sprachgebrauch als diskriminierend und verletzend empfindet, es meine Aufgabe sein sollte, umzudenken und Alternativen zu suchen. Sachlich, auf Augenhöhe und im Dialog mit dem Gegenüber, mit dem es gilt, eine neue Art zu sprechen zu entwickeln. Sprache sollte von allen für alle gestaltet werden. Und wo Schmerz vermieden werden kann, sollte Bequemlichkeit nicht zum Argument werden.

Christiane Ehrengruber