Was die Ökumene wirklich braucht

Das erste Kirchenkonzil fand 325 statt. Es gilt als Beginn der Ökumene. Aber wie ist es um die Ökumene 1700 Jahre später bestellt? Die Gedenkfeier 2025 findet Alan Shiyar N. T. eine gute Gelegenheit, sich selbst zu reflektieren und darüber nachzudenken, was Ökumene heute wirklich braucht.

Die christliche Welt bewegt sich auf eine Gedenkfeier zu: 1700 Jahre erstes ökumenischen Konzil von Nizäa – der Versammlung von christlichen Führungspersonen aus allen Teilen der Welt, die das lehrmäßige Verständnis des Christentums geprägt und festgelegt hat. Die Gedenkfeier 2025 gibt uns aber nicht nur Grund zum Gedenken und Feiern, sondern auch die einmalige Gelegenheit, darüber nachzudenken, was dieser Grundstein der Ökumene für die Kirche damals bedeutet hat, aber auch was er für uns heute bedeutet.

Was ist es, was die Ökumene heute wirklich braucht? © Foto: Toni Koukkula/unsplash | Was ist es, was die Ökumene heute wirklich braucht?

Wir sollten uns fragen: Ist dies ein Anlass, neue Menschen oder Gemeinschaften auszuschließen, oder ist es eine Gelegenheit, unsere ökumenischen Ansätze neu zu beleben und zu erfrischen, damit wir geeint sind und einander näher kommen?

Meine Erfahrungen als junger Mensch, der in ökumenischen Kreisen arbeitet, sind diese: Oft ist das Wort Ökumene in verschiedenen christlichen Gemeinschaften mit einer negativen Konnotation verbunden. Bist du ein*e Ökumeniker*in? Ist die Ökumene nicht Häresie? Wie können wir einen Dialog führen, wenn wir mit Menschen sprechen müssen, die als Häretiker*innen gelten? Das sind Fragen, die ich oft von Menschen gehört habe, die sich als „Ultra-Traditionalist*innen“ bezeichnen. Ich bin auch persönlich schon Opfer von Anfeindungen im Internet geworden, weil ich Bilder von meinen ökumenischen Dialogen veröffentlicht habe.

Ich sehe es so: Da die Ökumene eine Bewegung ist, die darauf abzielt, Brüche oder Fragmentierungen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu heilen, sollten ökumenische Organisationen und Kirchen darauf bedacht sein, offen zuzuhören und den Dialog zu suchen. Es ist höchste Zeit, dass wir unsere eigenen Formen der „Ökumene“ einer Selbstprüfung unterziehen: Warum führe ich einen ökumenischen Dialog, was sind meine Absichten? Geht es darum, das Gegenüber zu „bekehren“? Oder geht es darum, dem*der „Anderen“ zuzuhören, um zu erfahren, was sein*ihr Glaubensverständnis ist? Geht es darum, Häretiker*innen zu benennen oder sie zu verurteilen? In Anbetracht des heutigen christlichen Umfelds muss ich erneut sagen, dass es höchste Zeit ist, dass wir uns mit uns selbst auseinandersetzen und uns selbst prüfen.

Beabsichtigen wir Einheit oder etwas anderes?

Wenn ich von Selbstprüfung und -auseinandersetzung spreche, zitiere ich aus dem „Buch der Taube“ des syro-antiochischen Kirchenvaters Gregorius Bar-Hebaraeus, der sagt: „Von meiner frühesten Jugend an, brennend vor Liebe zur Lehre, wurde ich in den heiligen Schriften mit den notwendigen Erklärungen unterrichtet, und von einem vorzüglichen Lehrer hörte ich die Mysterien, die in den Schriften der heiligen Ärzte enthalten sind. Als ich das zwanzigste Lebensjahr erreicht hatte, zwang mich der damals lebende Patriarch, die Bischofswürde zu empfangen. Dann war es für mich unvermeidlich, mich in Disputationen und Auseinandersetzungen mit den Oberhäuptern anderer Konfessionen, innerer und äußerer, zu engagieren. Und als ich einige Zeit über diese Angelegenheit nachgedacht und meditiert hatte, kam ich zu der Überzeugung, dass diese Streitigkeiten der Christen untereinander nicht eine Sache der Tatsachen, sondern der Worte und Bezeichnungen sind. Denn sie alle bekennen, dass Christus, unser Herr, ganz Gott und ganz Mensch ist, ohne Vermischung, Nivellierung oder Mutation der Naturen. Diese zweiseitige Gleichheit wird von den einen Natur, von den anderen Hypostase genannt. Ich sah also, dass alle christlichen Völker trotz dieser Unterschiede eine einzige, unveränderliche Gleichheit besitzen. Und ich rottete die Wurzel des Hasses ganz aus der Tiefe meines Herzens aus und verzichtete völlig darauf, mit jemandem über das Bekenntnis zu streiten.“

Diese starken Worte, die Bar-Hebraeus hier verwendet, wie „Ausrottung des Hasses“ und „Einigkeit mit unveränderlicher Gleichheit“, sind ein wahres Beispiel für Selbstprüfung und das Eingeständnis von Verantwortlichkeit. Nutzen wir diese Gelegenheit, uns zu fragen, ob die eigene Absicht Einheit ist oder ob etwas anderes dahinter steckt.

Oft interpretieren, identifizieren oder zitieren wir Andere falsch. Ich hoffe, wir sind uns alle einig, dass menschliches Versagen unvermeidlich ist und dass wir alle demütig sein müssen, besonders wenn wir in einen Dialog treten. Nun zurück zu unserer Ausgangsfrage: Was bedeutet Ökumene? Für mich? Für Sie? Für uns? Ich bin sicher, dass ich darauf antworten muss, was sie für mich bedeutet, was sie für Sie bedeutet, müssen Sie beantworten, und was sie für uns bedeutet, müssen wir gemeinsam beantworten.

Ökumene ist ein schmerzhafter Prozess

Lassen Sie mich versuchen, zu beantworten, was sie für mich bedeutet: Für mich geht es bei der Ökumene darum, Freund*innen zu werden, gemeinsam zu arbeiten, zu beten und schließlich einander zu lieben. Christus selbst hat die beiden großen Gebote verbreitet: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft. Das zweite ist dieses: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Es ist kein anderes Gebot größer als diese.“ (Markus 12,30-31). Das zweite Gebot ist sonnenklar: Du sollst deinen Nächsten lieben. Wenn unsere Mitmenschen nicht unsere Nächsten sind, wer dann?

Einer meiner Liturgieprofessor*innen an der Universität sagte einmal: „Was für eine traurige Realität ist es, dass wir sechs Tage in der Woche gemeinsam am Esstisch sitzen und am siebten Tag, dem Tag des Herrn, auf getrennten Wegen zu unserem eigenen eucharistischen Mahl aufbrechen.“ Das Studium und das Leben in einer pro-ökumenischen Einrichtung wie dem Sankt Ignatios-Kolleg in Schweden war für mich eine Gelegenheit, diese Selbstprüfung vorzunehmen. Von meinen Kommiliton*innen und Lehrer*innen, die aus verschiedenen christlichen Traditionen stammen, zu lernen, ist eine große Herausforderung, aber gleichzeitig auch sehr fruchtbar.

Die Ökumene ist ein schmerzhafter Prozess. Wir haben lehrmäßige und theologische Erklärungen dafür, warum wir nicht zusammenkommen können und warum wir nicht geeint sind. Aber die menschliche Erfahrung, Freundschaften zu schließen, ist das, was wir heute in der Ökumene brauchen, damit wir diesen Schmerz spüren, und ich glaube, dass es wichtig ist, diesen Schmerz zu spüren, um einander näher zu kommen. In Bezug auf das, was Nizäa für mich heute bedeutet, ist es also erstens, wie Bar-Hebraeus sagt, in der Lage zu sein, den Hass auszurotten, zweitens, den durch die Uneinigkeit verursachten Schmerz zu spüren, und drittens, Freundschaften zu schließen. Gleichzeitig müssen theologische oder lehrmäßige Unterschiede angesprochen und nicht vermieden werden, denn der Kern des christlichen Ethos in den verschiedenen Gemeinschaften ist seine Theologie, oder mit anderen Worten „der Geist der Kirche“. Die Ökumene sollte nicht dazu dienen, die lehrmäßigen und theologischen Vorstellungen zu umgehen, sondern vielmehr dazu, die Vielfalt der christlichen Welt anzunehmen, zu untersuchen und zu verstehen.

Welche Rolle spielen junge Stimmen in der Ökumene?

Und welche Rolle spielen Jugendliche und junge Erwachsenen in der Ökumene? Ein Klischeespruch aus der Vergangenheit war: „Die Jugend ist unsere Zukunft“, ein Spruch, der mich persönlich traurig macht, denn wenn die Jugend unsere Zukunft ist, spielt sie heute keine große Rolle bei der Entscheidungsfindung. Aber in diesen Tagen habe ich persönlich beobachtet, dass sich dieser Spruch in „Die Jugend ist unsere Gegenwart“ geändert hat. Unabhängig von der Konfession, der wir angehören, sollten wir verstehen, dass die Jugend die Gegenwart der Kirche ist und dass sie eine wichtige Rolle für das Funktionieren der Kirche spielt.

Innerhalb kirchlicher Organisationen gibt es häufig Abteilungen, die die Ökumene und andere gesellschaftlich relevante Fragen zu ihren Hauptzielen zählen. Was wir brauchen, ist oft eine stärkere Beteiligung der Jugend in diesen Kreisen, die ein Umfeld schafft, in dem junge Erwachsene auch bei Meinungsverschiedenheiten miteinander ins Gespräch kommen können. Die organisatorische Arbeit, die verschiedene christliche Jugendorganisationen heutzutage leisten, ist bereits sehr lobenswert und verdient Anerkennung. Organisationen wie die World Student Christian Federation, Pro Oriente, lokale ökumenische Jugendorganisationen, der Ökumenische Jugendrat in Europa, Suprasl – ein Welttreffen der orthodoxen Jugend, die katholischen Jugendorganisationen und viele andere sind Beispiele für großartige Jugendarbeit.

Ihre Erkenntnisse sollten aber auch in die Strukturen anderer kirchlicher Organisationen und Bünde leichter einfließen. Es ist sehr wichtig, Räume zu schaffen, die junge Menschen bei dieser Arbeit unterstützen und ihnen Plattformen bieten, denn wenn diese Arbeit nicht von den jungen Theolog*innen und Jugendarbeiter*innen von heute übernommen wird, wird dieses Momentum unweigerlich enden. Auf unserem Weg nach vorn werden wir ständig mit neuen Fragen und Themen der modernen Welt konfrontiert. Wenn wir uns mit diesen Fragen befassen, sollten wir in der Lage sein, in die Geschichte zurückzublicken und zu sehen, wo sie falsch gelaufen ist, und versuchen, nicht dasselbe zu tun.

Abschließend möchte ich sagen, dass 1700 Jahre Nizäa für uns eine Gelegenheit ist, die Ökumene aus erster Hand zu erfahren, Freundschaften zu schließen und den Schmerz zu spüren, der aus der gespaltenen Realität, in der wir leben, erwächst, damit wir, so Gott will, eines Tages vereint sind.

Alan Shiyar Nediyamattathil Thankachan


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