Wenn Mission zum Machtkampf wird
In Afrika passiert in der orthodoxen Kirche etwas, das lange undenkbar war: Einzelne Gemeinden wechseln ihr Bistum, also vom Patriarchat Alexandrias zum Patriarchat Moskaus. Was für weniger Eingeweihte harmlos klingt, ist jedoch ein starkes Anzeichen für einen Machtkampf innerhalb der orthodoxen Kirche. Die Orthodoxie-Expertin Dagmar Heller erklärt das aktuelle Geschehen und seine Hintergründe.
Traditionell herscht in der orthodoxen Kirche das Prinzip „an einem Ort (nur) ein Bischof“. Damit wurde in der Zeit der ersten Christ*innen die Kirche geographisch in Bistümer eingeteilt, die dann in Patriarchaten zu größeren Einheiten zusammengefasst wurden. Bis heute ist der Kontinent Afrika auf diese Weise dem Patriarchat von Alexandria zugeordnet. Mit anderen Worten: orthodoxe Bischöfe und Priester in Afrika unterstehen dem Patriarchen von Alexandria. Keiner der anderen Patriarchen bzw. Oberhäupter der orthodoxen Kirchen hat deshalb in einer orthodoxen Kirche in einem afrikanischen Land etwas zu sagen.
© Foto: Andriy Tod/unsplash | Die russisch-orthodoxe Mission in Afrika bringt die Einheit der orthodoxen Kirche in Gefahr.
Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs gründet nun die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) überall in der Welt Gemeinden, so auch in Afrika. Dabei wurde mit dem Patriarchen in Alexandria vereinbart, dass diese Gemeinden nicht ihm, sondern direkt dem Patriarchen von Moskau unterstehen. Damit ist man – zwar in Absprache aber dennoch – von einer traditionellen grundlegenden Praxis abgewichen.
Dies hat sich in den letzten Jahren zu einem Problem entwickelt: Als der Ökumenische Patriarch (von Konstantinopel) im Jahr 2018 in der Ukraine eine neue unabhängige (autokephale) orthodoxe Kirche mit dem offiziellen Namen Orthodoxe Kirche in der Ukraine (OKU) gründete, in welcher zwei bisher in der Orthodoxie nicht anerkannte Kirchen zusammengeschlossen wurden, gehörte das Patriarchat von Alexandria zu denen, die diese neue Kirche anerkannten – im Gegensatz zu einigen anderen orthodoxen Kirchen wie beispielsweise das Moskauer Patriarchat. Dies wiederum hatte zur Folge, dass sich eine Zahl von orthodoxen Priestern in Afrika an das Patriarchat von Moskau wandten, um die Jurisdiktion zu wechseln, da sie nicht gewillt waren, die neu gegründete Kirche in der Ukraine anzuerkennen.
Das Problem der Orthodoxie in Afrika
Als Patriarch Theodoros von Alexandria, ganz offiziell, mit Vertretern der neuen orthodoxen Kirche in der Ukraine konzelebrierte (im Gottesdienst gemeinsam die Liturgie feiern), sah die Russische Orthodoxe Kirche keinen Grund mehr, sich dem Ansinnen dieser Priester zu verschließen mit der Begründung, dass der alexandrinische Patriarch mit „Schismatikern“ (Personen, die in eine Glaubensspaltung involviert sind) zelebriere. In der Folge nahm das Patriarchat von Moskau 102 afrikanische Kleriker in seine Zuständigkeit auf und gründete im Dezember 2021 ein Exarchat (eine Diözese außerhalb des eigenen Territoriums) in Afrika unter der Leitung von Metropolit Leonid von Klin. Ungeachtet der Tatsache, dass Metropolit Leonid vom Patriarchat von Alexandria in den Laienstand zurückversetzt wurde, haben seit dieser Gründung russische Priester und Katecheten weitere afrikanische Geistliche und Gemeinden für das Exarchat gewonnen. Kleriker, die Alexandria die Treue halten, werfen der Russischen Orthodoxen Kirche vor, diese Priester und Gemeinden durch eine finanzielle Besserstellung zu sich zu locken. Es wurden daher zwei weitere russische Missionare durch das Patriarchat von Alexandria ihres Amtes enthoben. Die Amtsenthebungen werden natürlich von Moskau nicht anerkannt, da inzwischen auch die Gemeinschaft zwischen beiden Patriarchaten abgebrochen wurde und das Patriarchat von Moskau sich deshalb nicht mehr an die Regeln gebunden fühlt.
Das Vorgehen des Moskauer Patriarchats in Afrika muss im Zusammenhang seines Vorgehens in anderen Weltgegenden gesehen werden. Gemeinden und Diözesen der Russischen Orthodoxen Kirche gibt es inzwischen praktisch überall auf der Welt. Beispielsweise gibt es in Japan eine autonome orthodoxe Kirche, die dem Patriarchat von Moskau untersteht und in ihren Anfängen bis ins Ende des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Auch in China gibt es eine russisch-orthodoxe Mission bereits seit mehr als 100 Jahren. In Europa und in Nordamerika bestehen russisch-orthodoxe Gemeinden und Diözesen mindestens ebenso lange. Es handelte sich bei deren Gründung immer zunächst um die seelsorgerliche Betreuung von russischen Diplomat*innen oder Geschäftsleuten, aus der dann Gemeinden und Diözesen bis in einigen Fällen hin zu autonomen Kirchen entstanden. Allgemein hat die Ausbreitung der Orthodoxie in traditionell nicht-orthodoxen Ländern ein grundlegendes Problem in der orthodoxen Kirche hervorgerufen: In der Diaspora haben die autokephalen Kirchen jeweils ihre eigenen Diözesen, so dass in den verschiedenen Ländern jeweils mehrere orthodoxe Kirchen parallel zueinander existieren. Dies widerspricht dem eingangs genannten Grundsatz, wurde aber bisher immer wieder besprochen und ansatzweise dadurch gelöst, dass sich diese orthodoxen Diözesen in den jeweiligen Ländern in nationalen Bischofskonferenzen zusammengeschlossen haben.
Der Kampf um die Macht
Die jüngste Entwicklung in Afrika ist deshalb skandalös, weil es sich hier um eine Region handelt, die in der Orthodoxie traditionell einer Kirche bzw. einem Patriarchat zugeordnet ist, was im Falle Europas oder Asiens beispielsweise nicht der Fall ist. Hinzu kommt, dass – Berichten zufolge – das russisch-orthodoxe Exarchat inzwischen einheimische orthodoxe Priester aus dem alexandrinischen Patriarchat abwirbt. Hier hat der Machtkampf, der sich auf der internationalen orthodoxen Ebene im Zusammenhang mit der Gründung der OKU abspielt, konkrete Auswirkungen auf örtlicher Ebene. Gleichzeitig wird allerdings auch ein Problem innerhalb des Patriarchates von Alexandria augenfällig: dass das russische Exarchat offenbar in einigen Regionen, wie beispielweise Kenia, relativ erfolgreich ist, hängt auch damit zusammen, dass in der alexandrinischen Kirche eine Unzufriedenheit darüber herrscht, dass die Hierarchie immer noch griechisch dominiert ist.
Insgesamt gesehen hat die Entwicklung in Afrika tiefgreifende Folgen für die innerorthodoxe Einheit. Denn die orthodoxen Kirchen verstehen sich als EINE Kirche, obwohl sie jeweils selbständig sind und ihr Oberhaupt selbst bestimmen. Die Gründung einer neuen selbständigen Kirche in der Ukraine hat dazu geführt, dass das Patriarchat von Moskau die Gemeinschaft mit dem Patriarchat von Konstantinopel bereits 2019 abgebrochen hat. Mit der Gründung eines russisch-orthodoxen Exarchats in Afrika vertieft sich der bereits bestehende Spalt auch in der Gesamtorthodoxie. Inzwischen hat auch das Patriarchat von Alexandria seinerseits die Gemeinschaft mit der Russischen Orthodoxen Kirche abgebrochen. Der Kampf um die Macht geht weiter.
Dagmar Heller
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