Wie können Kirchen gut streiten?
Konflikte haben großes destruktives Potenzial. Das ist nicht nur in zwischenmenschlichen Beziehungen so, sondern auch zwischen Kirchen. Aber wie kann die ökumenische Bewegung mit diesen Konflikten umgehen? Oft werden strittige Themen ausgeklammert. Aber Konflikte dürfen nicht stumm geschaltet werden, meint Eckhard Zemmrich und plädiert für eine ökumenische Streitkultur. Konflikte müssen bearbeitet werden – und nicht nur das.
In einer Zeit globaler Polarisierung, feindseliger Spannungen und sich verstärkender Populismen muss die ökumenische Bewegung nicht nur darüber nachdenken, wie man zu guten Kompromissen kommt, die zur Wahrung der kirchlichen Einheit und der ökumenischen Gemeinschaft beitragen. Es darf auch nicht nur darum gehen, um der Aufrechterhaltung von Einheit und der Vermeidung von Spaltung willen, Themen, die innerhalb der weltweiten Kirchengemeinschaft strittig sind, auszuklammern und gewissermaßen still zu stellen.
© Foto: Daniel Lonn/unsplash | Konflikte haben großes destruktives Potenzial.
Moratorien sind gewiss mitunter notwendig, aber sie tragen nicht zu gefestigterer Gemeinschaft bei. Denn früher oder später melden sich die aus- beziehungsweise eingeklammerten Konflikte wieder zu Wort: Auch wenn die Dynamik einer thematischen Auseinandersetzung zwischen Partner*innen zeitweilig gebremst werden kann, so entfaltet ein Thema in den verschiedenen Einzel-Kontexten doch weiter seine Eigendynamik und erreicht entsprechend neue Sachstände, auf die dann andere Akteur*innen wieder reagieren. Etwa, wenn es in ethischen Fragen nicht mehr nur um Anerkennung von Homosexualität geht, sondern darüber hinaus auch um Akzeptanz von geschlechtlicher Diversität insgesamt. Wenn das wahrgenommen wird, ruft es den nicht gelösten Konflikt wieder auf – und das oft auf heftigere Weise. Aber auch wenn Spannungen in anderen Themenfeldern als dem zunächst strittigen auftreten, werden stillgestellte Konflikte wieder wach, selbst wenn sie mit dem aktuellen Thema unmittelbar gar nichts zu tun haben. Beispielsweise, wenn die Auseinandersetzung zur Frage der Frauenordination über „Dammbruch-Argumente“ mit der Frage nach Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt verquickt wird.
Konflikte müssen bearbeitet, nicht stumm geschaltet werden
Kurz, was allgemein für zwischenmenschliche Beziehungen formuliert werden kann, gilt auch für kirchliche Beziehungspflege: Konflikte werden ihrer destruktiven Potenziale nur beraubt, wenn sie bearbeitet werden – vor allem jedoch, wenn sie gut bearbeitet werden. Es ist demnach notwendig, sich nicht nur auf die Ergebnisse, sondern auch auf die Prozesse der Streitgestaltung selbst zu konzentrieren, auf die Frage also, wie man Streit nicht vermeiden oder beenden, sondern wie man gut miteinander streiten kann. Wenn die Kirchen aufgerufen sind, der Einladung Christi zu Versöhnung, Liebe und Metanoia zu folgen, dann ist nicht nur das Ergebnis entscheidend, sondern auch der Prozess ist dafür wichtig.
Allerdings: Eine der derzeit bevorzugt verwendeten religiösen Metaphern für das, was Kirchen für ihre Lebensgestaltung aufgetragen ist, die Metapher des Weges, kommt dabei an ihre Grenze. Denn wer sich streitet, bleibt zwar beieinander, aber die Hauptorientierung ist nicht „side by side“ auf einem Weg, so wie das Bild des gemeinsamen Pilgern es im ökumenischen Kontext immer wieder aufruft. Sondern im Streit begegnet man sich „face to face“, und man begegnet sich nicht nur, sondern man ringt miteinander. Das muss man akzeptieren, und solches Ringen braucht Regeln einer Streitkultur, um es möglichst fair und produktiv werden zu lassen.
Machtfragen beinflussen Streitgespräche
Fair, weil natürlich auch im Streit immer Machtfragen mitschwingen und Dominanzen ausgehandelt werden. Die einst von Jürgen Habermas leidenschaftlich propagierte Idee des herrschaftsfreien Diskurses ist wichtig als ideale Bezugsgröße, sie ist aber nicht praxistauglich ohne ausdrückliche Berücksichtigung von diskursiver Macht, die erkannt und unerkannt das Streitgespräch mitbestimmt und beeinflusst.
Und dass Streit produktiv werden kann, ist alles andere als selbstverständlich. Es gehört dazu die hermeneutische Grundannahme, dass das Gegenüber in dem, was es argumentativ vorträgt, mit Respekt und Wohlwollen, mit dem Willen zum Zuhören und dem Bemühen um Verständnis wahrzunehmen ist.
Wie könnten Grundfragen einer ökumenischen Streitkultur lauten?
Tatsächlich erhöht sich angesichts unversöhnlicher werdender Positionen in Politik und Gesellschaft die Aufmerksamkeit auf und das Bemühen um bessere Streitkultur. Davon zeugen Ausstellungen wie „Streit. Menschen, Medien, Mechanismen im 18. Jahrhundert und heute“, die in den Franckeschen Stiftungen in Halle, oder „Streit. Eine Annäherung“, die im Museum für Kommunikation in Berlin gezeigt wurden. Kirchlich ist der Studienprozess „Churches and Moral Discernment“ hervorzuheben, den die Kommission „Glaube und Kirchenverfassung“ des Ökumenischen Rates der Kirchen über mehrere Jahre hinweg führte, und der in drei Bänden dokumentiert wurde. Darin wird nicht nur für das Verständnis unterschiedlicher Traditionen und ihrer Kontexte geworben; es wird auch ein Analyseinstrument entwickelt und erläutert, das solches Verständnis fördern und so für einen fairen und produktiven Streit disponieren will.
Doch dabei handelt es sich zunächst nur um Voraussetzungen für gutes Streiten.
Wie könnten also Grundfragen einer ökumenischen Streitkultur lauten? Wie können wir einen konstruktiven ökumenischen Dialog führen? Vielleicht indem wir „am Konflikt lernen“ (Ernst Lange)? Was braucht es, um zu einem sachlichen und themenbezogenen Dialog zu gelangen? Was lässt sich aus Konsensprozessen in den Kirchen lernen? All dies herauszufinden, ist meiner Ansicht nach ein Kernthema und eine der Hauptherausforderungen unser Zeit. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.
Eckhard Zemmrich
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