„Woher kommst du wirklich?“

Mercy Rethna lebt und arbeitet als gebürtige Inderin im Osten Deutschlands. Immer wieder erlebt sie Situationen, in denen sie das Gefühl hat, nicht erwünscht zu sein. Ihr Wunsch ist es, nicht anders oder gar besser, sondern genauso wie alle anderen als Mensch behandelt zu werden, den Gott nach seinem Bild erschaffen hat. Sie appelliert an alle, Partei zu ergreifen und Unterstützung zu geben, wenn Menschen rassistisch behandelt werden.

„Woher kommst du?“, fragte sie mich. „Aus Dresden“, lautete meine Antwort. Sie fragte weiter: „Ich meine, woher kommst du wirklich?“ – Diese Frage tut mir immer wieder so weh. Ich werde aber ständig damit konfrontiert. Soll ich ihr sagen, dass diese Frage mir das Gefühl gibt, nicht hierher zu gehören? Oder soll ich meine Gefühle verbergen und sagen, dass ich aus Indien komme? Nun, ich entschied mich dafür, sie nicht zu verletzen, und fühlte mich innerlich schlecht.

Exotisch sei nur eine Bezeichnung für seltene Vögel, meint Mercy Rethna. © Foto: Bruno Martins/unsplash | Exotisch sei nur eine Bezeichnung für seltene Vögel, meint Mercy Rethna.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie schlimm diese Frage für Menschen ist, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, aber so aussehen wie ich? Jedes Mal, wenn ich in die Dresdner Frauenkirche gehe, spricht mich mindestens eine Person auf Englisch an. Es mag daran liegen, dass dies ein touristischer Ort mit Gästen aus aller Welt ist. Ich antworte dann immer auf Deutsch, um zu signalisieren, dass Schwarze nicht immer Ausländer*innen sein müssen und nicht jede*r Deutsche weiß sein muss.

Schon mal was von Mikroaggression gehört?

Jetzt denken Sie vielleicht, dass ich überempfindlich im Bezug auf Rassismus bin. Haben Sie schon mal etwas von Mikroaggression gehört? Dieser Begriff bezeichnet die subtilste, unbeabsichtigte Form eines Vorurteils. Oft wissen die meisten Menschen nicht einmal, dass ihre Frage andere verletzt. Das ist bedauerlich. Wenn mir zum Beispiel jemand sagt, dass ich „exotisch“ aussehe, frage ich mich: „Bin ich eine seltene Tierart?“ Das letzte Mal als ich etwas über Exotik gelesen habe, war das in meinem Schulzoologiebuch über seltene Tiere und Vögel. Bitte überlegen Sie es sich zweimal, bevor Sie solche Worte verwenden. Für mich ist das kein Kompliment. Fragen wie: „Wird Ihre Haut in der Sonne noch dunkler?“, „Haben Sie schon einmal eine Rolltreppe gesehen?“ oder „Können Sie auch mit indischem Akzent sprechen?“, mögen aus Interesse gestellt werden, aber sie tun weh. Denken Sie daran, dass es viele Dinge gibt, die in anderen Ländern entwickelt wurden und die erst später nach Deutschland gekommen sind.

Lebst Du sicher im Osten?

„Fühlst du dich sicher, im Osten Deutschlands zu leben?“, fragte mich meine Tante Devi, die vor 30 Jahren aus Sri Lanka nach Deutschland gezogen ist. „Warum fragst du mich das?“, wollte ich wissen. Dann erklärte sie den Grund dafür. Vor vielen Jahren besuchten sie und ihre Tochter eine Schule in Leipzig. Dort wurden sie grundlos mit Steinen beworfen. Seitdem wollen sie und ihre Familie nie mehr in den Osten Deutschlands reisen. Ich war schockiert, das zu hören! Aber ich glaube nicht, dass nur in einem Teil des Landes Rassist*innen leben und in dem anderen nicht. Nichts kann 100 Prozent rein sein, nicht einmal Gold! So könnte es sein, dass wenn ich 1.000 Leute treffe, 998 nett sind und ein oder zwei rassistisch.

Mein Name ist meine Identität

Als ich einmal die Post für meine Nachbarin entgegennahm, suchte die Postfrau meinen Namen an der Tür und beschwerte sich, dass er zu schwierig sei, um ihn aufzuschreiben. Sie notierte dann den Namen meines deutschen Mitbewohners. Eine Ärztin rief mich mit „Frau Inderin bitte“ ins Behandlungszimmer. Alle um mich herum fingen an zu lachen. Mein Name ist meine Identität. Wenn Sie ihn nicht buchstabieren können, ist es in Ordnung zu fragen. Aber es ist nicht in Ordnung, sich darüber zu beschweren oder sich darüber lustig zu machen. Wäre es akzeptabel, wenn jemand Sie in einem anderen Land Frau Deutsche oder Herr Deutscher nennen würde?

Segen oder Fluch?

Das, was ich jetzt teile, ist etwas, dem ich nur in Deutschland begegne und das ich in Indien noch nie erlebt habe. Hier treffe ich so viele Menschen, die sagen, dass ich schön bin und dass sie mich bewundern. Andererseits erlebe ich Menschen, die mich hassen, weil ich anders aussehe und aus ihrer Sicht nicht hierhergehöre. Wie kann das sein? Soll ich mich wegen meines Aussehens besonders fühlen oder mich dafür hassen lassen? Ich sehe mich als Mensch mit passablen Manieren. So sollten es auch andere tun. Wie ich aussehe, sollte keine Rolle spielen. Genesis 1,27 sagt, dass Gott uns nach seinem eigenen Bild geschaffen hat. Warum ist uns dann wichtig, wie jemand aussieht?

Bitte nicht wegschauen!

Ich wartete mit Freunden an einer Ampel. Wir waren eine Gruppe von Menschen aus Indien und Südafrika. Als die Ampel grün wurde, überquerten wir die Straße. Von der anderen Seite kam eine alte Dame. Sie beschimpfte uns auf Deutsch, was wir nicht wirklich verstanden. Wir wussten nicht, was wir falsch gemacht hatten. Zwei andere Mädchen, die hinter der Dame liefen, sprachen uns an: „Entschuldigung, macht euch ihretwegen keine Sorgen!“ Das entspannte die Situation erheblich. Wenn Sie sich fragen, was Sie tun können, wenn jemand mit Rassismus konfrontiert wird, dann ist das mein Rat: Wir Menschen nicht-weißer Hautfarbe können die Situation nicht ändern, wir sind froh über Ihre Unterstützung! Sagen Sie ein paar nette Worte und unterstützen Sie die Person, die rassistisch beleidigt wurde. Sagen Sie ihr, dass Sie für sie da sind. Das wirkt sich wirklich aus und gibt uns das Gefühl, dass nicht alle rassistisch sind und wir nicht alleine sind.

Wie jede*r andere Deutsche

Es ist großartig, wenn Menschen die kulturelle Vielfalt bewundern. Aber sie sollten auch verstehen, dass wir mit der Hoffnung in dieses Land gekommen sind, dass wir gleichberechtigt sind. Wir wollen nicht besonders behandelt werden, sondern so wie jede*r andere Deutsche auch. Bisher gefällt mir mein Leben hier, weil ich neue Dinge erlebe, die Freiheit genieße, viele meiner Träume verwirkliche, die Motivation von den Älteren bekomme, mich immer jung zu fühlen und so weiter. Ich erkläre das immer wieder meiner ganzen Familie und meinen Freund*innen in Indien. Was ich verschweige, sind die rassistischen Erfahrungen, denen ich ausgesetzt bin, wie sie mich beeinflussen und ich das Gefühl habe, dass sie niemals enden. Meine Bitte an Sie lautet: Bewirken Sie eine kleine Veränderung in der Gesellschaft, indem Sie versuchen, Mikroaggression zu vermeiden und Menschen zu unterstützen, die alltäglich mit Rassismus konfrontiert sind. Ich glaube fest daran, dass jede Veränderung bei uns selbst beginnt.

Mercy Rethna


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