Wohin mit dem alten weißen Mann?

Männer, die sich überlegen fühlen, die eigenen Privilegien nicht erkennen und ein gewisses Alter haben, werden seit einigen Jahren meist abschätzig als „alter weißer Mann” bezeichnet. Auf diese Art als Problem benannt zu werden, macht etwas mit vielen Männern der Boomerjahrgänge und aufwärts. Aber wenn der „alte weiße Mann“ das Problem ist, dann muss man doch irgendwie mit ihm umgehen. In seinem glossenhaften Text fragt sich Dirk Freudenthal, als quasi Betroffener, genau das: „Wohin mit dem alten weißen Mann?“, und kommt zu einer interessanten (Selbst-)Erkenntnis.

Na, da werde ich jetzt mal volles Risiko gehen und mich des Verrats am eigenen Geschlecht schuldig machen. Als weichgekochter, graumelierter Mann, der munter auf die 60 zugeht, sollte ich eigentlich nicht schreiben, was Sie im Folgenden lesen werden. Manchen von Ihnen wird es wie ein Abgesang auf eine Ära vorkommen, wieder andere werden es als die Kapitulation vor dem Mainstream werten, ein Kniefall vor der Genderdiktatur…

Wohin mit den alten weißen Männern? In die Abstellkammer? © Foto: V2osk/unsplash | Wohin mit den alten weißen Männern? In die Abstellkammer?

Jungs, es kommt noch schlimmer: Ich schwing mich auf, mal eben alte Gewissheiten zu schleifen und dabei beschleicht mich doch ein mulmiges Gefühl, als handelte es sich um die Selbstdemontage, die Entsorgung meiner selbst. Denn auch wenn rententechnisch noch neun Jahre vor mir liegen, spüre ich in schwachen Momenten schon die Erhabenheit des beginnenden Alters und den ihr innewohnenden Drang, es den jungen Leuten noch einmal zu zeigen, was ´ne Harke ist. „Oppa erzählt vom Kriech“ – den ich (Gott sei Dank!) nie erleben musste.

Ein grundsätzliches Problem zwischen Generationen und Geschlechtern

Dabei hätte ich da einen Traum: So alt und weise wie Meister Yoda zu werden, mich zurückgezogen der Meditation oder dem Gebet hinzugeben und ansonsten jedem jungen Menschen egal welchen Geschlechts, so er darum bittet, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Aber nur dann! Ob mir das gelingen wird?

Nun, mit dem biblischen Alter des zwergenhaften, spitzohrigen Jedi-Meisters aus der Film-Saga „Star-Wars“ wird es schon einmal nichts werden. Dennoch, an der Schwelle zum alten weißen Mann stehend, werde ich nachdenklich! Werde ich mich damit begnügen, nicht mehr in der ersten Reihe zu stehen und die nachfolgenden Generationen mit klugen Ratschlägen zu beglücken?

„Papa, danke, so genau wollte ich es nun auch wieder nicht wissen“, bekam ich schon als nicht mehr ganz junger Vater gelegentlich zu hören, wenn ich meinte, eine einfache Frage meiner Kinder mit einem welterklärenden – in den Ohren meiner Kinder allzu oft belehrenden – Vortrag beantworten zu müssen. Und ja, auch heute fällt es mir schwer, es bei Ein-Satz-Antworten zu belassen, wenn doch nur die gefordert sind.

Dieses Beispiel mag banal sein, aber es deutet auf ein grundsätzliches Problem hin, das nicht nur das Verstehen zwischen den Generationen erschwert, sondern auch zwischen den Geschlechtern.

Wie das?

Alte Männerbünde funktionieren immer noch

Nun, eigentlich ist es mehr eine Wahrnehmung, nicht auf statistische Zahlen gestützt, aber doch mehr als nur ein Bauchgefühl. Und ich beobachte es nicht nur im privaten Umfeld, ich nehme es wahr – in der Gesellschaft, in der Politik und ja, auch in der Kirche. Überall sind die alten Rollenverteilungen immer noch spürbar: bei der Bezahlung, bei der Besetzung von Leitungspositionen, bei der Pflege der Kinder und Angehörigen, im politischen Wettbewerb. Immer noch funktionieren die alten Männerbünde, die gar nicht daran denken, ihre Macht ab einem gewissen Alter abzugeben. Im Gegenteil – und das sage ich mit dem Brustton des selbst Beobachteten: Sie sorgen dafür, dass junge, ambitionierte Männer in ihre Fußstapfen treten – die dann kurioserweise das Wort Gleichberechtigung geschmeidig im Munde führen und doch zielstrebig an ihrem eigenen Fortkommen stricken – sich gerne protegieren lassend von den alten weißen Männern, die im Hintergrund die Fäden ziehen – mit der Folge: es ändert sich nichts. Ich erkläre an Eides statt, alles mit eigenen Augen wahrgenommen zu haben.

Wo ist der alte weiße Mann, der Einspruch erhebt?

Und um es gleich zu sagen: Hier offenbart sich in mir nicht irgendein Selbsthass auf das eigene Geschlecht und das Gefühl, im falschen Körper zur Welt gekommen zu sein. Ganz im Gegenteil: Ich bin Mann und ich bin es gerne. Doch es beschämt mich zunehmend, wie meine Geschlechtsgenossen dazu beitragen, dass sich Machtstrukturen verstetigen und verinnerlichte Erwartungshaltungen Fragen in vermeintlich besorgtem Grundton hervorbringen wie die nach der Vereinbarkeit von fünffacher Mutterschaft mit dem Amt als Bischöfin. Würde je, wie Margot Käßmann einmal in einer Podiumsdiskussion zu denken gab, einem Mann diese Frage gestellt werden? Und welcher Mann verzichtet freiwillig auf einen beträchtlichen Teil seiner Rente und übernimmt den Löwenanteil bei der Betreuung der Kinder? (Ganz ehrlich, ich habe es auch nicht getan…). Welcher Mann ergreift das Wort, um im Kreis einer rechthaberischen und geschwätzigen Männergesellschaft der einzigen Frau zu ihrem Recht auf Meinungsäußerung zu verhelfen? Ich schweife ab? Vielleicht! Vielleicht aber doch nicht, denn wo ist da der alte weiße Mann (so er im Raum ist), der Einspruch erhebt und selbstbewusst darauf hinweist, dass es kein Gnadenakt ist, dass Frauen in einem Parlament, in einem Parteivorstand, im Leitungsamt einer Kirche und und und zu finden sind, sondern dies womöglich das Ergebnis eines demokratischen Prozesses ist. (Nebenbei bemerkt: Derzeit liegt der Anteil von Frauen im Deutschen Bundestag gerade mal bei 35 Prozent, kaum besser sieht es in den Landesparlamenten aus.)

Warum ich das erzähle? Weil ich mir für mein Alter wünsche, rechtzeitig zu erkennen, dass es nun wirklich albern wirkte, noch mit 65, 70 oder 75 auf dicke Hose zu machen…

Nicht aufs Abstellgleis

Doch wohin denn nun mit dem so oft gescholtenen alten weißen Mann, der nicht loslassen kann und weiterhin am großen Rad drehen und im Hintergrund die Strippen ziehen möchte? Tatsächlich gehört er nicht auf ein Abstellgleis, denn wir brauchen Menschen mit Lebenserfahrung und einer gewissen Gelassenheit – egal welchen Geschlechts. Wir brauchen auch deren mitunter widerborstigen Geist und ihre Empörung, die Mutmacher, die Ratgebenden, die Wegbereiter, gleichzeitig aber auch deren Souveränität, Dingen ihren Lauf zu lassen, Neues zuzulassen, aber auch beizeiten aus verantwortlichen Positionen abzutreten und Macht loszulassen.

Aber, wenn es schon volles Risiko war, das zu schreiben, wie anfangs von mir angekündigt, dann sollen mir spitze Ohren wachsen wie Meister Yoda. Dass es dazu niemals kommen möge, darauf hoffe ich auf Eure Mithilfe, die Ihr mit mir tapfer den Versuchungen alter weißer Männer zu widerstehen versucht. Vielleicht schaffen wir es dann gemeinsam, alte Gewissheiten zu schleifen.

Dirk Freudenthal


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