Wohin mit dem Begriff „Mission“?
Mission – der Begriff ist umstritten. Manch ein Missionswerk denkt sogar über eine Änderung des Namens und somit über eine Abschaffung des Begriffes nach. Aber der Missbrauch von Begriffen in der Geschichte rechtfertigt nicht in jedem Fall ihre grundsätzliche Abschaffung, meint Christof Theilemann und plädiert, den Missionsbegriff differenzierter zu betrachten.
Der Begriff der „Mission“ ist umstritten. Auch in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Die einen wollen den Begriff ganz abschaffen. Denn zweifelsohne gab es schuldhafte Verflechtungen zwischen der kirchlichen Mission und dem Kolonialismus.
© Foto: Sieuwert Otterloo/unsplash | Im Englischen hat der Begriff „Mission“ eine wesentlich positivere Bedeutung.
So etwa bei der spanischen Mission in Lateinamerika. Oder bei dem von deutschen Truppen verübten Genozid an den Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika. Beim Maji-Maji-Krieg im damaligen Deutsch-Ostafrika haben einige Missionare geschossen. Diese Schuld muss von den Missionswerken und den Kirchen transparent und selbstkritisch aufgearbeitet werden. Die bei vielen seinerzeit in der Mission Tätigen vorherrschende Meinung, europäische Zivilisation und christliche Mission gehörten notwendig zusammen, ist ein theologisches Fehlurteil, das ausgeräumt gehört.
Andere möchten den Missionsbegriff nicht aufgeben. Ich teile diese Meinung, obwohl das Berliner Missionswerk Ökumenisches Zentrum der Landeskirche ist und nicht ein Missionswerk im Sinne des 19. Jahrhunderts. Warum? Freilich bleibt es auch für mich dabei, dass die Verflechtungen der Mission mit dem Kolonialismus ehrlich zur Sprache gebracht und selbstkritisch eingeordnet werden müssen. Aber ich finde nicht, dass Mission und Kolonialismus – wie einige behaupten – zwei Seiten derselben Medaille waren. Was sind meine Argumente?
Missbrauch von Begriffen rechtfertigt nicht die Abschaffung
Zum einen plädiere ich dafür, dass wir bei der Betrachtung der Missionsgeschichte methodisch sauber vorgehen. Der Missbrauch von Begriffen in der Geschichte rechtfertigt nicht in jedem Fall ihre grundsätzliche Abschaffung. Das heißt: Hier bedarf es einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Dinge, wie sie auch in der Theologie üblich ist. Es muss jeweils der Kontext kritisch angeschaut werden. Die Quellenanalyse und die differenzierte Sicht der Absichten der jeweiligen Handelnden dürfen nicht vernachlässigt werden.
Zweitens: Wir dürfen die jeweils unterschiedliche Situation der Mission an ihren verschiedenen Tätigkeitsorten nicht übergehen. Die Mission der skandinavischen Missionswerke wurde nicht von Kolonisierungsbestrebungen der skandinavischen Staaten begleitet. Die Berliner Mission in der südchinesischen Guangdong-Provinz und die evangelische Mission in Japan und Taiwan arbeiteten nicht in Kolonien. Südafrika wurde erst britisches Protektorat, nachdem die ersten Missionar*innen dort tätig geworden waren. Der für viele naheliegende Schluss von Lateinamerika auf alle anderen Missionsgebiete trifft meines Erachtens die Sache nicht immer und überall.
Es gibt nicht nur die deutsch/europäische Perspektive
Drittens – und das ist für mich ein entscheidendes Argument: Gerade bei unseren Geschwistern in den Partnerkirchen erlebe ich, dass dort der Begriff „Mission“ eine Hochschätzung erfährt, die wir in der deutschen/europäischen Debatte zu wenig wahrnehmen. Unsere Partner*innen sehen auch einiges in der Missionsgeschichte kritisch. Aber für die meisten, die ich in Afrika und Asien kennengelernt habe, wäre das kein Grund, den Missionsbegriff aufzugeben. Diese Menschen mit dem Hinweis darauf, sie stammten aus „Kolonialkirchen“, aus unserer Debatte auszugrenzen, schafft nur neues Unrecht.
Viertens: Der moderne Missionsbegriff der „missio Dei“, wie ihn die fünfte Weltmissionskonferenz in Willingen 1952 im Anschluss an den Schweizer Theologen Karl Barth entwickelt hat, knüpft an die Anliegen des Neuen Testaments an. Er macht deutlich, dass Glauben nur von Gott geschaffen werden kann, nicht von uns Menschen. Wir Menschen dürfen bezeugen, dass Gott die Liebe unseres Lebens ist. Das schließt den unbedingten Respekt des Selbstbestimmungsrechtes der*des jeweils anderen ein. Das hat der Ökumenische Rat der Kirchen in seinen wegweisenden Dokumenten immer wieder deutlich gemacht. Sollten wir diesen Begriff abschaffen? Er widerspricht nicht unseren sonstigen Überzeugungen. Ich verstehe dieses Wort so, dass „Mission“ das kirchliche Zeugnis und den kirchlichen Auftrag umschreibt, ohne die Gewissensfreiheit anderer anzutasten. Aus der Grundordnung der EKBO sind die Worte „Mission“ und „missionarisches Handeln“ jedenfalls nicht wegzudenken.
„Mission“ kann viel mehr bedeuten
Auch vermag ich nicht zu sehen, dass der Begriff der „Mission“ als solcher bei allen Menschen so negativ gehandelt wird, wie das einige behaupten. Im Englischen hat der Begriff eine wesentlich positivere Bedeutung. In unserer Wirtschaft und Gesellschaft wird oft völlig unvoreingenommen von „unserer Mission“ gesprochen. Wer auf „YouTube“ geht oder Werbung anschaut, wird damit immer wieder konfrontiert.
Vielleicht noch ein Wort in eigener Sache: Ich habe mit Interesse die neueste umfassende Forschungsarbeit zur Tätigkeit der Berliner Mission im heutigen Tansania gelesen: Jeremy Best: Heavenly Fatherland: German Missionary Culture and Globalization in the Age of Empire (German and European Studies, 38) (Englisch), University of Toronto Press 2021. Dieser US-amerikanische Wissenschaftler zeigt deutlich die Schwächen und Verfehlungen der Berliner Mission in ihrer Ostafrikamission, vor allem nach 1881, auf. Aber er betont auch, dass im Gegensatz zu den Bestrebungen der deutschen Kolonialbehörden die Berliner Mission immer zwei Dinge hochgehalten hat: Es war ihr Ziel, die Menschen vor Ort beim Aufbau eigener Volkskirchen zu unterstützen. Und sie hat es sich deshalb nicht ausreden lassen, in ihren Schulen in der Ortssprache zu unterrichten – während die Kolonialist*innen auf Unterricht im Deutschen drängten, damit sie billige Arbeitskräfte mit einfachen Befehlen zur Arbeit antreiben konnten. Und die deutsche Kolonialzeitung hat mitunter die Mission heftig kritisiert, weil ihre diakonischen und Bildungsanstrengungen ihr verdächtig vorkamen. Und es sind dann auch etliche afrikanische Freiheitskämpfer*innen aus … Missionsschulen hervorgegangen. Warum also sollten wir ganz auf den Begriff der Mission verzichten?
Christof Theilemann
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