Tür an Tür mit Alevit*innen

Am 14. Dezember 2014 wurde ein besonderes Haus eröffnet: Das Haus der Religionen in Bern. Die Medien sprachen damals vom „Neuen Wunder von Bern“, einer „Neuen Zeitrechnung“, einer „religionspolitischen Sensation“. Jetzt feiert das Haus der Religionen zehnjähriges Bestehen. Hartmut Haas erzählt von diesem besonderen Projekt.

Wer vom Norden über Bern zum Großen Sankt Bernhard in den Süden fährt, könnte für einen Sekundenbruchteil einen Blick auf ein wohl europaweit einzigartiges Bauwerk werfen. In einer gemeinsamen Gebäudehülle befinden sich Tür neben Tür ein Hindutempel, eine Moschee, eine Kirche, ein kurdisch-alevitisches und ein buddhistisches Zentrum. Nicht genug: Auch ein Fenster ins Judentum, zur Sikh- und Baha’i-Religion sind eingebaut. Der gemeinsame Korridor, der Platz für Begegnung, Gespräch und festliche Anlässe, ist auch vorhanden. Bis zu zwei- bis dreitausend Menschen könnten sich hier gemeinsam aufhalten – und tun dies zuweilen auch an Tagen der Offenen Tür oder bei einer „Nacht der Religionen“. Am Europaplatz in Bern ereignet sich dies nun schon seit zehn Jahren.

Seit zehn Jahren existiert das Haus der Religionen am Europaplatz in Bern. © Foto: Selfish Seahorse/Wikimedia CC-BY-4.0 | Seit zehn Jahren existiert das Haus der Religionen am Europaplatz in Bern.

Ein kurzer Blick von der Autobahn oder etwas gemächlicher und näher von den direkt daran vorbeifahrenden S-Bahnen und Straßenbahnlinien genügt also nicht, um zu erfassen, was hier entstanden ist. Das verhindert schon die Integration des ungewöhnlichen Gebäudes in eine Gesamtüberbauung, zu der eine Ladenzeile, Büroräumlichkeiten und Wohnungen gehören. Eine schlicht gestaltete Ornamentik und zwei ungewöhnliche Türmchen über Hindutempel und Moschee sind eher eine Andeutung als eine Erklärung für das, was sich hinter einer neutralisierenden Glasfassade verbirgt. All jene, die inzwischen über die Schwelle des Hauses gegangen sind, die Dergâh der Alevit*innen und den Meditationsraum der Buddhist*innen betreten haben, dann die Schuhe auszogen, um im Hindutempel eine Puja zu erleben, in der Moschee an einem Gebet teilzunehmen oder mit der orthodoxen Tewahedo-Kirche einen Gottesdienst zu feiern, werden bestätigen: Sie haben hier eine Reise zu den Weltreligionen unternommen und waren in deren authentisch gestalteten sakralen Räumen zu Gast.

Die Ideen und die Initiator*innen

Es gibt gleich mehrere Vorgeschichten des Hauses der Religionen. Die kleine Gruppe der Herrnhuter Brüdergemeine, seit 1740 in Bern beheimatet, suchte eine neue Aufgabe, die Stichworte sind Ökumene, Migration, interreligiöser Dialog. „Friedensarbeit im Sinne von Johann Amos Comenius“, dem tschechischen Pädagogen, Theologen und Friedensforscher des 17. Jahrhunderts, ist schließlich der Schlüsselsatz.

Zur gleichen Zeit untersuchte eine Studie des Stadtplanungsamtes Bern die Entwicklungsmöglichkeiten für den Bümplizer Stadtteil. Christian Jaquet, Dozent der Hochschule der Künste in Bern empfahl: „ein einzigartiges Haus der Kulturen und Religionen“.

Als Reaktion auf die Golfkriege anfang der 1990er Jahre bildete sich in Bern ein „Runder Tisch der Religionen“. Diese drei Initiativen trafen sich im November 2000 im jüdischen Gemeindehaus Bern. Eine Arbeitsgruppe wurde eingesetzt, um die Verwirklichung eines Hauses der Religionen voranzubringen.

Der Verein, die Stiftung und die Bauleute

Bereits im Frühjahr 2002 entstand der Verein „Haus der Religionen – Dialog der Kulturen“, in dem bis heute Menschen aus acht Weltreligionen aktiv sind. Der Verein brachte die Konzeption voran und entwickelte vom ersten Tag seiner Existenz Programme, Kurse und Tagungen, die sich im Grunde über 20 Jahre hinweg bewähren und die Grundlage liefern für alles, was aktuell im Haus der Religionen am Europaplatz stattfindet.

Weil für die Realisation eines großen physischen „Hauses der Religionen“ eine Vereinsstruktur nicht ausreichend und die Baufragen zu umfassend sein würden, entstand im Jahr 2006 die „Stiftung Europaplatz – Haus der Religionen“. Sie verantwortete die Verhandlungen mit den Planer*innen und Behörden, und auch die Finanzierung des Gebäudebereichs und seines Unterhaltes, wie etwa der kürzlich erfolgte Einbau eines Liftes.

Ein Glücksfall für die Idee des „Hauses der Religionen“ war sicher die Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro bauart AG in Bern. Mit viel Enthusiasmus für ein ungewöhnliches Projekt erlaubten sie, dem damals (wie heute?) mittellosen Verein zu träumen. Bei allen Abstrichen und Veränderungen, die schließlich dann doch erfolgten, blieben sie bis zur Verlegung des „Schlusssteins“ unser wichtiger Partner, zu dem sich noch das Amsterdamer Büro urbanoffice gesellte.

Für die Bauausführung und als Generalunternehmen erklärte sich im Sommer 2008 die Firma Halter AG aus Zürich bereit, mit der Übernahme des gesamten Bauareals am heutigen Europaplatz auch das Haus der Religionen zu realisieren. Auf deren Internetseite kann man lesen: „Die Zusammenarbeit im Haus der Religionen ist nicht nur für Bern von großer Bedeutung. Das erste Mal auf der Welt steht ein Haus, in welchem so viele verschiedene Religionsgemeinschaften unter einem Dach zusammenarbeiten, ihren Kultus feiern, gestalten, diskutieren, entwickeln und die Anliegen des Dialogs in ihre Gemeinschaften hinein und in die Welt hinaus vermitteln“.

Die Finanzierung

Die Kosten für das Haus betrugen 12 Millionen Franken, wobei der definitive Ausbau der sakralen Räume von den Religionsgemeinschaften selbst mit nochmals etwa vier Millionen Franken zu tragen war. Erst im Jahr 2011 gelang das Kunststück der Finanzierung, nachdem aus Kreisen der Vereinsmitglieder an die zwei Millionen Franken aufgebracht wurden. Zuvor hatte die Rudolf- und Ursula-Streit-Stiftung ihren Beitrag auf drei Millionen Franken erhöht und nacheinander entschieden die Parlamente der katholischen wie der reformierten Kirchen in der Region Bern und die Burgergemeinde der Stadt die Vergabe von jeweils einer Million Franken. Das Stadtparlament selbst hatte zuvor mit der Regelung des Baurechtszinses mehrfach die Unterstützung für das Haus bekräftigt. Schließlich sprach sich auch das Parlament des Kantons Bern, durch Vergabe von Mitteln aus dem Lotteriefonds, zugunsten der Verwirklichung des Hauses der Religionen am Europaplatz aus.

Für die gemeinschaftlichen Räume und für die Programme im Bereich „Dialog der Kulturen“ ist der Verein „Haus der Religionen – Dialog der Kulturen“ verantwortlich und organisiert dafür auch die nötigen Mittel von jährlich etwa eineinhalb Millionen Franken.

Die Kritik und die Krisen

Zu den Krisenzeiten des Projektes gehört sicher das Jahr 2007. Im Vorstand liefen die Erwartungen an ein Haus der Religionen weit auseinander. Auch die Aufnahme der Alevit*innen, eine mehrheitlich kurdisch geprägte Gruppe türkischer Herkunft, und ihre Raum-Partnerschaft für das Haus der Religionen führte zu einem weiteren Konflikt. Diese Krise bewältigt zu haben, ist das besondere Verdienst von Gerda Hauck, die in diesem Jahr das Präsidium des Vereins übernahm.

Natürlich hat auch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen behördlichen Maßnahmen sehr in die aktuelle Arbeit eingegriffen. Mit den Ruheständen langjähriger Mitarbeiterinnen und einem nicht geringen Wechsel in der Mitarbeitendenschaft ist eine Verunsicherung im Verein zu spüren. Auch der medial sehr breit aufgenommen Vorwurf von „Zwangsheiraten“, die im Umfeld des „Hauses der Religionen“ vorgekommen sein sollen, wirkt sich belastend aus. Eine staatsanwaltliche Untersuchung dazu wurde allerdings eingestellt.

Die Inspiration und die Aufgaben für die Zukunft

Es gibt in Mitteleuropa kein Land, keine Stadt, kein Dorf mehr, welches ganz allein für sich existieren könnte. An jedem Ort ist heute die ganze Welt mit ihren Hoffnungen und Krisen gegenwärtig. Manchmal vielleicht noch „nur“ durch das Internet und alle möglichen medialen Netzwerke, allermeist aber auch ganz konkret durch Menschen, welche die kulturelle wie religiöse Vielfalt der Weltgemeinschaft zu einem nachbarschaftlichen Nebeneinander werden lassen. Dies führt automatisch zu Fragen des Miteinanders in den Schulen und Bildungseinrichtungen, in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen und längst auch auf den Friedhöfen im Umgang mit Trauer und Formen der Bestattung. Um diese gesellschaftlichen Prozesse zu begleiten, um aus einem isolierten Nebeneinander ein Miteinander werden zu lassen, ist das Haus der Religionen mit seiner Plattform „Dialog der Kulturen“ da. Hier stellen sich die Kulturen der Welt vor, so wie sie sich in Bern im Lauf der Zeit eingefunden haben. So können sie sich erklären, Missverständnisse und Fremdenfeindschaft überwinden helfen und mit ihren Formen des kulturellen Ausdrucks bei Musik, Tanz, Theater, in Form von Ausstellungen, bei Gesprächen und auch in religiösen Ritualen eine vertrauensvolle Basis für unsere multikulturellen Gemeinden und Quartiere der Zukunft legen.

Hartmut Haas


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