Zwischen Kindern, Küche und Karriere – Frauen in Taiwan
Frauen in Taiwan sind mit einem gesellschaftlichen Zielkonflikt konfrontiert. Denn Taiwan ist ein modernes aufstrebendes Land, das gleichzeitig an vielen Stellen in traditionellen Rollenbildern verhaftet ist. Daraus entsteht für viele Frauen eine Doppelbelastung und eine Benachteiligung, die nicht zu unterschätzen ist. Und das, obwohl Taiwan in Bezug auf die Geschlechtergerechtigkeit weltweit an sechster Stelle steht. Shou-Hui Chung erläutert die Situation der Frauen in Taiwan in Kirche und Gesellschaft und formuliert, anlässlich des Weltgebetstags mit Schwerpunkt Taiwan, eine große Hoffnung.
Das demokratische Land Taiwan wählte 2016 seine erste weibliche Präsidentin. Die Inselrepublik hat viel in Bezug auf Gleichberechtigung getan. Aber dennoch hat Taiwan die Gleichstellung der Geschlechter noch nicht vollständig erreicht. Es gibt eine nationale Geschlechterkluft (Gender-Gap) von etwa 0,97. Tradition und patriarchal-geprägte Rollenbilder sind nach wie vor sehr präsent. So übernehmen Frauen immer noch einen größeren Teil der familiären Sorgearbeit als Männer. Und in der christlichen Kirche ist die Vorstellung weitverbreitet, dass Frauen in der Kirche nicht in leitenden, sondern vorrangig in stellvertretenden oder untereren Ämtern dienen sollten, obwohl es schon über siebzig Jahre her ist, dass die erste weibliche Pastorin in der Presbyterianischen Kirche in Taiwan ordiniert wurde.
© Foto: Sam Chang/unsplash | Frauen in Taiwan sind mit gesellschaftlichen Herausforderungen konfrontiert.
Der Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit war für die Frauen Taiwans historisch betrachtet nicht leicht. Die gesellschaftliche Rolle der Frau in Taiwan hat sich während der eher landwirtschaftlich geprägten Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg von der guten Ehefrau und Mutter zu einer arbeitsorientierten, wenig qualifizierten Arbeitskraft gewandelt. Als sich die Wirtschaft allmählich entwickelte, kam es zu einer Rückbesinnung auf die Familie, was zu einem Anstieg von Teilzeitbeschäftigungen und häuslichem Nebenerwerb von Frauen führte. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Wirtschaft Taiwans einen rasanten Aufschwung, und die traditionelle Rolle der Frau im Arbeitsmarkt wandelte sich erneut. Aus Nebenbeschäftigung oder Teilzeitarbeit wurde Vollzeitbeschäftigung – zunächst jedoch nur in klassischen Frauenberufen. In den letzten Jahren haben Taiwans soziale und kulturelle Atmosphäre die in der Vergangenheit praktizierten Stereotypen etwas aufgebrochen. In der Vergangenheit waren hauptsächlich Männer beispielsweise als Wachleute, Fracht- und Transportfahrer, Polizisten oder Bauingenieure beschäftigt. Jetzt arbeiten auch Frauen in diesen Berufen.
Ein gesellschaftliches Problem: Traditionelle Frauenrollen halten sich hartnäckig
Obwohl die taiwanischen Frauen in Bezug auf ihre Fähigkeiten und ihre wirtschaftliche Situation in der Lage waren, sich in vielerlei Hinsicht aus der Abhängigkeit von Männern zu befreien und unabhängig zu werden, hängt es immer noch von Faktoren wie Herkunft (soziale Schicht, ethnische Gruppe), Alter etc. ab, ob und wieviel Macht Frauen in Taiwan erlangen. Und das, obwohl sie bei der Beschäftigung von Frauen weltweit betrachtet an sechster Stelle, in Asien sogar an erster Stelle, stehen. Die zunehmende politische Teilhabe und Macht der Frauen hat sich erheblich auf das Unternehmer*innentum und die Arbeitswelt ausgewirkt. Das traditionelle Bild der Frau in der Gesellschaft besteht jedoch immer noch, und obwohl sie die gleichen Fähigkeiten wie Männer haben und die Vorzüge, aufmerksam, fürsorglich, verantwortungsbewusst, stabil, kooperativ und stressresistent zu sein, müssen sie Kompromisse eingehen, denn es wird nach wie vor gesellschaftlich erwartet, dass sie die Familie an erste Stelle und die Karriere an zweite Stelle setzen. Studien zeigen, dass die Fluktuationsrate von Frauen nach der Heirat bei 30 Prozent liegt und die Wiedereinstellungsrate nur 50 Prozent beträgt. Nachdem eine Frau Mutter geworden ist, vergehen im Durchschnitt fünf Jahre und fünf Monate bis zur Wiederaufnahme der Arbeit, und erst wenn die Kinder fast in der Grundschule sind, kehren sie an ihren Arbeitsplatz zurück. Das bedeutet, dass eine Frau, nachdem sie eine Familie gegründet hat, durchschnittlich eine 65-monatige Lücke in ihrer Erwerbstätigkeit hat, um sich um die Familie zu kümmern oder Kinder aufzuziehen.
Es hat sich schon viel getan, aber es gibt noch viel zu tun
In den christlichen Kirchen in Taiwan ist der Anteil der weiblichen Gläubigen relativ hoch. Sie engagieren sich in der Gemeindearbeit und im sozialen Dienst und sind auch in der Evangelisation aktiv. Es gibt mehr Frauen als Männer, die als Sonntagsschullehrerinnen, Kirchenmusikerinnen oder im Besuchs- und Gebetsdienst tätig sind, aber die Leitung und Entscheidungsfindung wird immer noch von männlichen Diakonen, Presbytern und Pastoren dominiert. In meiner Kirche, der Presbyterianischen Kirche in Taiwan (PCT), zum Beispiel, gibt es in der Kirche im Allgemeinen immer noch schwerwiegende geschlechtsspezifische Rahmenbedingungen und Vorurteile, obwohl die PCT jeden Ausschuss dazu ermutigt, ein Drittel Frauen zu haben. Im vergangenen Jahr war nur die Hälfte der zwanzig Ausschüsse zu einem Drittel oder mehr mit Frauen besetzt, darunter die (Minderheiten-)Ausschüsse für Hakka und Indigene, Frauen, Älteste, ökumenische Beziehungen, Liturgie und Kirchenmusik, Finanzen und Geschlechtergerechtigkeit. Sogar Pfarrerinnen leiden aufgrund traditioneller, enger Vorstellungen unter geschlechtsspezifischer Diskriminierung. Sie werden bei kirchlichen Ernennungen abgelehnt, werden als „Pastorenfrau“ bezeichnet, aber nicht als Pastorin, wenn sie zusammen mit ihrem Ehemann als Pastorin eingesetzt werden. Pastorinnen mit Führungsqualitäten wiederum wird vorgeworfen, sie seien „zu stark“. In einem Umfeld der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern bleiben Christinnen und Pastorinnen daher in ihren angestammten Ämtern verhaftet. Es hat sich schon viel getan, aber es gibt noch viel zu tun.
Ja, die taiwanische Gesellschaft und mit ihr die Kirche erwartet von Frauen an vielen Stellen immer noch, dass sie die familiäre Sorgearbeit übernehmen und sich beruflich maximal mit stellvertretenden Positionen zufriedengeben. Ich bin mir dennoch sicher, dass die nationalen und kirchlichen Änderungen in Bezug auf die Rechte der Frauen Früchte tragen werden. Mit Selbstbewusstsein und der Dynamik der Gleichberechtigung der Geschlechter im Rücken werden die (christlichen) Frauen in Taiwan ein Segen für ihr eigenes Land und die Welt sein, besonders wenn es um die transformierende Rolle der Kirche in der Gesellschaft geht.
Shou-Hui Chung
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