Ankunft der Missionar*innen in Indien

Am 2. November feiert die Gossner Evangelical Lutheran Church (GELC) in Indien ein Ereignis, das viele überrascht: die Ankunft deutscher Missionar*innen im Jahr 1845. Während Mission in Europa heute oft kritisch gesehen wird – als Symbol kolonialer Macht, kultureller Überformung und religiöser Dominanz –, begehen viele Christ*innen in Indien diesen Tag mit Dankbarkeit und Stolz. Warum, das erklärt Anurag Minj.

Die Ankunft der Missionar*innen in Indien gilt als Meilenstein und wird jedes Jahr gefeiert. © Foto: Gossner Mission | Die Ankunft der Missionar*innen in Indien gilt als Meilenstein und wird jedes Jahr gefeiert.

Welche Bedeutung hat die Ankunft der Missionar*innen am 2. November für die christlichen Gemeinden in Indien, und wie wird an diesen Tag heute erinnert bzw. wie wird gefeiert?

Der 2. November hat für die christliche Gemeinde der Gossner Evangelical Lutheran Church (GELC) eine tiefe Bedeutung, denn an diesem Tag im Jahr 1845 kamen vier deutsche Missionare – Pfarrer Emil Schatz, Fredrik Batsch, Augustus Brandt und E. Theodor Janke – nach Chotanagpur, um die GELC zu gründen. Dieses Gründungsereignis wird heute nicht nur als historisches Gedenken, sondern auch als lebendiger spiritueller und gemeinschaftlicher Meilenstein in Erinnerung behalten, der die Identität und Praxis innerhalb der Kirche prägt.

Zu den Feierlichkeiten gehören oft Dankgottesdienste, Gebete und gemeinschaftliche Zusammenkünfte, die an die Ankunft der drei Missionare und den Beginn des einheimischen christlichen Zeugnisses in der Region erinnern. Heute ist dieses Gedenken in den jährlichen Kirchenkalender eingebunden, in dem die Mitglieder über ihre einzigartige Geschichte des Glaubens, der Widerstandsfähigkeit und des Dienstes an der breiteren Gemeinschaft nachdenken. Diese Veranstaltungen fördern die Dankbarkeit für die Opfer der frühen Missionar*innen und erneuern das Bekenntnis zu den Werten des Glaubens, der sozialen Transformation und der Inklusivität, für die die Kirche eintritt.

Welche Rolle spielt die Erinnerung an die Ankunft der Missionar*innen für das heutige Selbstverständnis für Kirchen, wie die GELC, in Indien?

Die Erinnerung an die Ankunft der Missionar*innen spielt eine entscheidende Rolle für das Selbstverständnis der Kirche. Die GELC versteht sich als eine Gemeinschaft, die in der befreienden Botschaft des Evangeliums verwurzelt ist, die zuerst von diesen Missionar*innen verkündet wurde, die durch ihre Arbeit in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen und Sozialdienste einen Prozess der sozialen Emanzipation der zuvor ausgebeuteten indigenen Bevölkerung in Gang setzten. Das Gedenken an die Missionar*innen ist nicht nur Nostalgie, sondern eine Bekräftigung der fortwährenden Mission der Kirche, allen zu dienen, sie zu stärken und zu befähigen, insbesondere die Marginalisierten. Das jährliche Gedenken bietet die Gelegenheit, zu beurteilen, wie treu die Kirche das Erbe der inklusiven Liebe, Gerechtigkeit und mitfühlenden Hilfe fortsetzt.

Wie erleben Menschen in den Gemeinden diesen Feiertag – als spirituelles Fest, kulturelles Ereignis oder auch als Anlass zur kritischen Reflexion?

Das Gedenken am 2. November wird auch mit Gottesdiensten gefeiert. © Foto: Gossner Mission | Das Gedenken am 2. November wird auch mit Gottesdiensten gefeiert.
In den Gemeinden der GELC ruft das Gedenken am 2. November eine Vielzahl von Erfahrungen hervor. Für viele ist es in erster Linie ein spiritueller Akt – ein Tag, der der Danksagung, der Anbetung und der Bitte um Gottes Führung für die Zukunft gewidmet ist. Die Gottesdienste sind oft geprägt von Hymnen, Schriftlesungen und Gebeten, die die persönliche und gemeinschaftliche Dimension des Glaubens miteinander verbinden.

Für Andere ist dieser Tag ein kulturelles Ereignis, bei dem die Identität der Gemeinschaft durch gemeinsame Mahlzeiten, traditionelle Musik und Geschichtenerzählen gefeiert wird. Das Kirchengelände wird durch lebendige Ausdrucksformen lokaler und christlicher Traditionen belebt, was die Bindungen zwischen den Mitgliedern stärkt.

Dieser Anlass lädt jedoch auch zu kritischer Reflexion ein. Sowohl Gemeindemitglieder als auch Führungskräfte nutzen diesen Tag, um die aktuelle Relevanz der Kirche angesichts moderner sozialer, wirtschaftlicher und spiritueller Herausforderungen zu bewerten. Das Gedenken an die Missionar*innen wirft Fragen über die soziale Verantwortung, die Inklusivität und das Zeugnis der Kirche in einer sich schnell verändernden Welt auf. Es ist eine Zeit, die dazu anregt, sowohl mit Dankbarkeit zurückzublicken als auch mit der Verpflichtung zur Veränderung nach vorne zu schauen.

Wie genau gelingt das?

Die Feierlichkeiten der GELC am 2. November sind dynamisch und schaffen einen Ausgleich zwischen der Ehrfurcht vor der Geschichte und der Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Gegenwart. Heute engagiert sich die Kirche in Bildungs-, Gesundheits- und Sozialinitiativen und spiegelt damit die ganzheitliche Vision der drei Gründungsmissionare wider. Das Gedenken an den 2. November erinnert daran, im Glauben, im Dienst und in der Offenheit verwurzelt zu bleiben – und den Unsicherheiten der Moderne mit Einheit und Hoffnung zu begegnen.

Dieses lebendige Erbe sorgt dafür, dass die GELC nicht nur eine Kirche bleibt, sondern für ihre Mitglieder ein Ort des Glaubens und des Dienstes ist, der sich kontinuierlich auf seine historischen Wurzeln stützt, um eine transformative und integrative Zukunft zu inspirieren.

Das Interview führte Tanja Stünckel.


Zur Person

Pfarrer Anurag Minj ist Assistant Professor für Neues Testament am Gossner Theological College (GTC) in Ranchi, Indien.


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