Afrika ist kein Land
Ist Ihnen schon mal aufgefallen: In der ersten Szene, mit der in einem gängigen Film der Kontinent Afrika eingespielt wird, geht fast immer die Sonne auf oder unter. Warum? Welche Stereotype stecken dahinter? Es gibt eine Menge Klischees über „Afrika“ als ein Land mit Armut, Bürgerkriegen und großen Flächen „trockener roter Erde, auf denen nichts als Elend wächst“. Aber Afrika ist kein Land, sondern: 54 Länder, 2.000 Sprachen, 1,4 Milliarden Menschen und, und, und … Ein rasantes Buch!, meint Marco Moerschbacher.
© Foto: Suhrkamp Verlag/Fallon Michael/unsplash | Afrika ist kein Land, Dipo Faloyin, Suhrkamp Verlag, ISBN: 978-3-518-47320-7
Journalist und Autor Dipo Faloyin geht diesen allgemein herrschenden Klischees nach. Er selbst ist Nigerianer („ich bin halb Yoruba und halb Igbo“), aufgewachsen in Lagos, zurzeit in London lebend. Es geht ihm darum, die Abwertungen und Klischees, die das öffentliche Afrikabild in der westlichen Welt prägen und einem echten, fairen Austausch und interkulturellem Dialog im Weg stehen, zu entlarven und ihre fatalen Folgen aufzuzeigen.
Nach den einleitenden Kapiteln, in denen der Autor seine familiäre Herkunft und die pulsierende, moderne Millionenstadt Lagos mit ihrem Lebensgefühl – „Lagos ist voll“ – vorstellt, zeichnet er die Berliner Konferenz (1884/85) und ihre Tragweite für die afrikanischen Völker nach. Dazu zählen neben der menschenverachtenden wirtschaftlichen Ausbeutung durch die Kolonialmächte bis heute die Schwierigkeiten der Staatenbildung, bedingt durch die willkürlichen, ohne Rücksicht auf kulturelle Identitäten und Konflikte erfolgten Grenzziehungen dieser Zeit.
Sterotype tragen zur Abwertung afrikanischer Identitäten bei
Ein Kapitel befasst sich mit „White Saviourism“, dem in der nordatlantischen Welt verbreiteten Retter*innensyndrom, bei dem die Komplexität der globalen und lokalen Verflechtungen sowie die Agency der Afrikaner*innen ausgeblendet bleiben. Diese Komplexität wird an der Geschichte von sieben Kontexten („sieben Diktaturen“) verdeutlicht: Somalia, Nigeria, Simbabwe, Ruanda, Algerien, Äquatorialguinea und Libyen. Das Kapitel zu den Stereotypen über „Afrika“ in westlichen Filmen, Medien und der Literatur, die laut Faloyin von zentraler Bedeutung für die anhaltende Abwertung afrikanischer Identitäten sind, gerät zu einer bissigen, aber umso gehaltvolleren Satire.
„Der Fall der gestohlenen Artefakte“ – hier zeigt der Autor die tief in der Geschichte der kolonialen Ausbeutung wurzelnde Ambivalenz des westlichen Umgangs mit afrikanischen Kunst- und Kulturgütern auf. Dazu gehört die brutale und rücksichtslose Gewalt gegen ganze Völker und Kulturen, wie etwa die Grausamkeiten der Deutschen gegen die Nama und Herero im heutigen Namibia oder das Morden und die Verwüstungen der Briten in Benin City. Auf der anderen Seite steht der Raub und das Zurschaustellen von Beninbronzen und ungezählten künstlerisch und/oder religiös wertvollen Artefakten.Was ist das Fazit dieses Buches? Dipo Faloyin setzt auf die junge Generation, liberaler und toleranter als frühere, eine Generation, die „das Versprechen auf eine bessere Zukunft einlöst, im Zeichen einer Weltgegend, die die Jugend und die Zeit auf ihrer Seite weiß“. Und er ruft uns in Europa dazu auf, uns mit dem Kontinent Afrika, „wie er tatsächlich existiert“, auseinanderzusetzen.
Marco Moerschbacher
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