Auf der anderen Seite des Sturms
Eine junge Missionarswitwe muss sich zwischen zwei Männern entscheiden: Dem einen ist sie versprochen, vom anderen ist sie schwanger. Eine schwierige Situation, in der sie erkennt, was sie wirklich durch den Sturm trägt. Journalistin Gertraud Schöpflin hat mit „Auf der anderen Seite des Sturms“ einen unterhaltsamen historischen Liebesroman im Pfarr- und Missionsmilieu geschaffen. Silja Joneleit-Oesch hat ihn für uns gelesen.
© Foto: Brunnen Verlag/Fallon Michael/unsplash | Auf der anderen Seite des Sturms, Gertraud Schöpflin, Brunnen Verlag, ISBN: 978-3-7655-3703-5
Obacht bei One-night-stands
Triggerwarnung: Sehr viel unerfüllte Sehnsüchte, wenig Sex, viele innere Monologe…
Die Lesenden dieses Buches werden hineingenommen in die Szenerie des kirchlich-frommen Milieus gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Missionsgesellschaften blühten und entsandten Personen in den Verkündigungsdienst in alle Welt, so auch nach China. Das Fundraising übernahmen Vereine und Gruppen im kirchlichen Deutschland, bedient mit Content aus dem Missionsland. Diese Berichte beschrieben allerdings nur einen Teil der Wirklichkeit. Denn gerade in Asien war die Konversionsrate, nicht zu sprechen von der Taufrate, oft sehr niedrig. Die asiatischen Religionen waren und sind wenig exklusiv angelegt und die Menschen hat es nicht überzeugt, einer Religion anzugehören und der alten abschwören zu sollen. Und so hörten sie wohlwollend den Missionaren zu, eine Gemeinde war aber so nicht zu bauen.
Die Realität der Missionarsfamilien bestand zu großen Teilen aus praktischer karitativer Arbeit, aus Armutsbekämpfung, manchmal aus eigenem Überlebenskampf und Bautätigkeiten und wenig aus Predigen, Taufen und Gemeindebau.
Die Hauptperson des beschriebenen Buchs ist eine junge Missionarswitwe, auch das leider keine Seltenheit, denn die europäischen Personen starben vielfach an Krankheiten, Klimaunverträglichkeiten und schlechter medizinischer Versorgung. Diese Witwe reist mit zwei kleinen Kindern auf einem Schiff aus China zurück nach Deutschland und sieht einer arrangierten Ehe mit einem Pfarrer entgegen; denn sie muss ja versorgt werden. Die Missionarsfrauen waren oft Teil des Entsendungspakets des Missionars und wurden zu Hause weiter versorgt. Unverheirateten Missionaren wurden auch Bräute in das Missionsgebiet geschickt… Arrangierte Ehen waren zu dieser Zeit auch in Deutschland noch üblich und das ganze Vorgehen nicht gesellschaftlich geächtet.
Das Drama nimmt seinen Lauf
Die Schiffsreise ist allerdings lang, langweilig und manchmal auch gefährlich stürmisch und die Protagonistin ist noch in Trauer, gleichzeitig in banger Erwartung ihres Zukünftigen und voller Zerrissenheit zwischen zwei Welten. Und da passiert es… ausgerechnet der Kapitän „tröstet“ sie. Sie geht schwanger von Bord in die Arme des nächsten Ehemanns. Die Gefühle zueinander und die Zärtlichkeiten miteinander wollen allerdings nicht wachsen und so vergeht Monat um Monat, in dem sie ihm die Schwangerschaft nicht „unterjubeln“ kann und gleichzeitig immer weniger verheimlichen kann. Das Drama nimmt seinen Lauf. Und ja, es gibt nach vielen Verwirrungen ein Happy End.
Die Rollen, die uns hier vorgeführt werden: Missionar und Missionarsfrau, Pfarrer und Pfarrfrau, die Missionsgesellschaften im Hintergrund, werden allesamt nicht reflektiert oder kritisiert. Der Missionar ist der Held, posthum noch mehr verklärt, der Pfarrer in Brandenburg ist der Pfarrherr und die Autorität der Gemeinde. Allerdings werden sie durch das tatsächliche Tun oft unterwandert: der Pfarrer ist keine starke Persönlichkeit, unsicher in seiner Theologie, unempathisch der Landbevölkerung gegenüber und überfordert mit seiner Familie. Die neue Frau dagegen verkündigt, hilft den Armen und startet eigene Projekte und fragt erst hinterher ihren Mann, den sie mit Fakten überrumpelt, so dass er es nur noch erlauben kann. Da steckt viel Subversives drin. Allerdings muss man es zwischen den Zeilen lesen und freut sich mit, wenn die Witwe sich nicht in die Rolle findet, sondern ihrer Überzeugung und ihrem persönlichen Glauben nach handelt und Grenzen verschiebt.
Nur am Rande nimmt man die Auseinandersetzungen der theologischen Strömungen wahr: liberale Theologie versus gelebte Christusfrömmigkeit. Nur in Nebensätzen wird geschildert, dass durchaus nicht alle die Missionsambitionen der Kirchen unterstützt haben und diese Unternehmungen gerne abschaffen wollten.
Als theologisch interessierte Leserin erfahre ich hier wenig. Zur netten Freizeitlektüre taugt es dagegen sehr, auch taucht man hinein in die Realität der Pfarrhäuser in dieser Zeit. Und immer wieder staune ich, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass Frauen wie ein Besitz von einem Mann zum anderen, vom Vater, zum Ehemann und gegebenenfalls zum versorgenden erwachsenen Sohn übermittelt wurden.
Silja Joneleit-Oesch
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