Blondes Herz

Was wäre, wenn die Geschichte anders verlaufen wäre – wenn nicht Europa, sondern Afrika die koloniale Macht geworden wäre? In ihrem Roman „Blondes Herz“ dreht Bernardine Evaristo die Welt auf den Kopf und zeigt mit satirischer Schärfe das Ergebnis umgekehrter Machtverhältnisse. Tanja Stünckel hat das Buch für uns gelesen.

Blondes Herz, Bernardine Evaristo, Verlag: Tropen, ISBN: 978-3-608-50275-6 © Foto: Tropen/Fallon Michael/unsplash | Blondes Herz, Bernardine Evaristo, Verlag: Tropen, ISBN: 978-3-608-50275-6

Was wäre, wenn Afrika und Europa historisch betrachtet die Plätze getauscht hätten? Bernadine Evaristos Roman „Blondes Herz“ ist eine satirische Auseinandersetzung mit dem transatlantischen Sklav*innenhandel – nur das die Welt auf dem Kopf steht. Opfer sind Täter*innen geworden. Europa ist der unzivilisierte, graue Kontinent, in den mutige Kolonisator*innen aus „Aphrika“ aufbrechen, um ihm die Zivilisation zu bringen und ihn aus der Wildheit zu geleiten. Dieser Kunstgriff der kontrafaktischen Erzählung ermöglicht der Autorin, ein frisches Licht auf dieses dunkle Kapitel der Menschheitsgeschichte zu werfen und es gelingt ihr dabei, diesen lehrreichen Perspektivwechsel auch noch unterhaltsam zu gestalten.

Die Protagonistin Doris ist auf der Flucht vor ihrem Meister. Sie wurde als kleines Kind beim Versteckspielen entführt und in die Sklaverei verkauft. Doch die Flucht misslingt, weil „Bwana“ alles daransetzt, sie wieder einzufangen und natürlich für ihren Ungehorsam zu bestrafen. Nach und nach entfaltet Bernardine Evaristo die vielen Schichten von Doris Geschichte auf unterschiedlichen Ebenen. Das ist besonders eindrucksvoll und entfaltet große emotionale Wucht, wenn sie historisch mit Schwarzen Menschen verbundene Erlebnisse, kulturelle Narrative oder Topoi schildert. So wird „Doris“ von ihren Herren, der besseren Aussprechbarkeit wegen, in Omorenomwara umbenannt. Immer wieder wird ihr deutlich gezeigt, dass sie hässlich und nichts wert ist, denn Doris hat helle Haut, ist schlank und blond. Den eigenen Namen zu benutzen, wird für sie zu einem Akt der Selbstermächtigung.

Satire, die auf Geschichte verweist

Evaristo gelingt es durch ihre Erzählweise, die Lesenden immer wieder auf die Reflexion der eigenen Gefühle und der tatsächlichen geschichtlichen Ereignisse zurückzuwerfen. Denn Doris‘ fiktive Geschichte basiert eben auf der Geschichte von Millionen von Schwarzen Menschen, die Ähnliches tatsächlich erlebt haben.

Bernardine Evaristo ist eine britische Schriftstellerin, Lyrikerin und Professorin für Kreatives Schreiben. Sie ist die Tochter einer englischen Mutter und eines nigerianischen Vaters und beschäftigt sich in ihrem Werk oft mit Fragen von Identität, Herkunft, Rassismus und Geschlechterrollen. Evaristo wurde 2019 international bekannt, als sie als erste Schwarze Frau den renommierten Booker Prize gewann – für ihren Roman „Girl, Woman, Other“, der die Lebensgeschichten von zwölf unterschiedlichen Frauen miteinander verwebt. Neben ihrer schriftstellerischen Arbeit engagiert sie sich stark für die Förderung Schwarzer britischer Autor*innen und für Diversität im Literaturbetrieb. Sie lebt und arbeitet in London.

Tanja Stünckel


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