Der indigene Kontinent

Christoph Kolumbus hat Amerika entdeckt – aber Moment mal. Ist das wirklich so? Denn die indigene Bevölkerung war ja schon lange vor diesem sogenannten europäischen „Entdecker” da. In „Der indigene Kontinent“ erzählt Autor Pekka Hämäläinen eine andere Geschichte Amerikas. Matt Barlow hat das Buch für uns gelesen.

Der indigene Koninent, Pekka Hämäläinen, Verlag Antje Kunstmann, ISBN: 978-3-95614-564-3 © Foto: Kunstmann/Fallon Michael/unsplash | Der indigene Koninent, Pekka Hämäläinen, Verlag Antje Kunstmann, ISBN: 978-3-95614-564-3

Es gibt eine verbreitete Erzählung über die Geschichte des Kolonialismus in Amerika und die Begegnung mit den indigenen Völkern. In der Regel läuft es ungefähr so ab: Bis zur Ankunft der Europäer*innen lebten auf dem gesamten nord- und südamerikanischen Kontinent indigene Völker. Zu diesem Zeitpunkt brachen Krankheiten und Konflikte aus, und die Geschichte setzt sich im Allgemeinen als eine Reihe von Konflikten fort, die von Perioden der Ruhe unterbrochen werden, bis man den heutigen Tag erreicht.

Was in dieser breit angelegten Geschichtserzählung verloren geht, ist das Wirken und der anhaltende Einfluss und die Kultur der indigenen Völker Amerikas. Man könnte meinen, dass die indigenen Völker keine lange Geschichte in Amerika haben. Oder dass ihre Kultur und ihre Völker einfach in den Konflikten verschwunden sind. Aber weder das eine noch das andere ist der Fall. Ihre Geschichte auf dem amerikanischen Kontinent reicht Zehntausende von Jahren zurück, und „Der Indigene Kontinent“ zeigt auf, dass ihre Kultur und ihr Einfluss nicht durch den europäischen Kolonialismus vernichtet wurden, sondern dass sie trotz der Konflikte fortbestehen.

Dieses Buch beginnt mit der frühesten bekannten Geschichte der indigenen Völker Amerikas und spannt einen Bogen vom Maisanbau bis zu politischen Bündnissen der Indigenen. Es zeigt eine Geschichte, die oft hinter einer eurozentrischen Geschichte der Eroberung und „Entdeckung“ verborgen ist, die so tut, als ob es nicht schon vor ihr Hunderte von Völkern gegeben hätte, die bereits alles entdeckt hatten …

Eine neue Geschichte, die bis zum 19. Jahrhundert reicht

Hier ist eine neue Geschichte, die das Leben der indigenen Bevölkerung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts umfassend behandelt. Und das wäre mein einziger Kritikpunkt: Die meisten Geschichten, die sich mit den indigenen Völkern Amerikas befassen, enden gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Dadurch wird weiterhin der Eindruck erweckt, dass die indigenen Völker irgendwann vollständig verschwunden sind. Zudem lässt es so auch die verheerende Geschichte der Reservatsschulen aus, die die Native Americans besuchen mussten. Vor allem nach den Enthüllungen über den Missbrauch an Schulen in Kanada muss die Geschichte der indigenen Bevölkerung bis ins 21. Jahrhundert hinein untersucht und in Verbindung gebracht werden.

Ganz zu schweigen von Dingen wie dem American Indian Movement (AIM), das in den späten 1960er Jahren von den Kindern und Enkel*innen ins Leben gerufen wurde, die unter dem Schulsystem gelitten haben, um ihre verlorene Geschichte, ihr Land und ihre Kultur als Volk zurückzugewinnen, und so die Gewalt der Regierung, der sie ausgesetzt waren, aufzuzeigen. Und schließlich wäre es wichtig, einen Blick auf die jüngste Geschichte der indigenen Völker und Bewegungen im Zusammenhang mit der Klimakatastrophe zu werfen. Es gibt so viel lebendige Geschichte allein ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die gut in die historische Perspektive der indigenen Kontinuität passen könnte, dass es schade ist, dass „Der indigene Kontinent“ auch dort endet, wo es so viele andere Geschichtsbücher tun – Ende des 19. Jahrhunderts.

Matt Barlow


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