Firekeeper's Daughter

Angeline Boulley hat über zehn Jahre an Firekeeper’s Daughter geschrieben. Es ist ihr Debütroman. Die Geschichte ist dicht gewebt, mysteriös und phantasivoll, dabei leicht geschrieben. Speziell die Schilderungen der Kultur und der Lebensumstände der Ojibwe machen Firekeeper’s Daughter zu einem ganz besonderen Buch. Leander Knoop hat es für uns gelesen.

Firekeeper's Daughter, Angeline Boulley, cbj Verlag, ISBN 978-3-570-16601-7 © Foto: cbj Verlag/Fallon Michael/unsplash  | Firekeeper's Daughter, Angeline Boulley, cbj Verlag, ISBN 978-3-570-16601-7

Zwei Welten, zwei Identitäten und ein Mord

Ich stehe als Statue von einem Mädchen erstarrt im Wald. Unfähig, mich zu rühren. Aus Stein gemeißelt mit weit aufgerissenen Augen. Der Wald riecht nach Erde, Rinde und zugleich nach Leben und Verwesung. Nur Gerüche, die nicht in einen Wald gehören. (S.177)

Daunis Fontaine ist 18 Jahre alt. Sie lebt auf der kleinen Sugar Island des Detroit River. Dort leben Native Americans des Stammes Ojibwe, zu denen ihr verstorbener Vater gehört. Daunis lebt bei ihrer weißen Mutter. Sie hat die High-School abgeschlossen und möchte nach dem Sommer für ein Medizin-Studium in die Großstadt ziehen. Dann erkrankt ihre Großmutter. In Verantwortung für ihre Familie zögert sie mit ihren Umzugsplänen. Als sie unverhofft Zeugin eines Mordes wird, ist nichts mehr, wie es war. Es kommen Geheimnisse ans Licht, die ihre bisherige Wirklichkeit ins Wanken bringen. Will sie mit der Lüge leben? Wie viele verborgene Geheimnisse werden sich noch offenbaren? Kann sie die Wahrheit ergründen?

Mit Firekeeper’s Daughter gibt es endlich eine Erzählung, die von und über Native Americans aus und in der Gegenwart schreibt. Spannend wird die kulturelle Welt des Stammes der Ojibwe geschildert und vermittelt so bereichernde Einblicke über die indigene Bevölkerung US-Amerikas. Dies gelingt auch, indem Daunis’ Gedanken und Rede ganz selbstverständlich indigene Wörter integriert und reflektiert. Nach und nach eröffnet sich so eine spannende Native American-Perspektive.

Packend und prämiert

Daunis wächst in zwei Welten auf, beeinflusst durch zwei Identitäten. Sie sieht sich vielen Herausforderungen im Leben gegenüber. Im Stamm ihres verstorbenen Vaters wird sie nicht von allen akzeptiert. Dabei entsteht durch die Wahrnehmung der anderen, deren Kategorien an ihre Grenzen kommen, der Konflikt um ihre Identität. Sie selbst ist sich ihrer doppelten Wurzeln und ihrer Herkunft sehr wohl bewusst. Sie schätzt und pflegt die Bräuche ihres Stammes. Daunis ist eine ruhige, introvertierte junge Frau. Sie weiß sehr genau, was sie will. Sie strahlt eine sympathische Aura aus und begegnet ihrer Umwelt nüchtern und realitätsnah. Sie erkennt die Lügen und den Eigennutz vieler ihrer Mitmenschen, was ihr wiederum erschwert, sich emotional auf andere Menschen einzulassen. Im Horizont der indigenen Kultur werden immer wieder existenzielle Fragen angesprochen und Themen wie Freundschaft, Liebe, Verlust, Schmerz und Zukunftssorgen bearbeitet. Dabei ermöglicht ihre „amerikanische mehrheitsgesellschaftliche Seite“ hohes Identifikationspotential, wohingegen ihre „indigene Seite“ eine aufregende Anziehungskraft vermittelt. Die Konflikte um ihre durch zwei Kulturkreise geprägte Identität mag für viele Menschen nicht völlig fremd sein.

Die Autorin Angeline Boulley stammt selbst aus dem Stamm der Ojibwe. Ihr feministisches Anliegen, die Benachteiligung und teils gefährliche Lebenswirklichkeit von insbesondere indigenen Frauen aufzuzeigen, gelingt ihr. Das Buch erinnert an eine Coming-of-Age-Story, die stilistische Merkmale aus den Genres Mystery-Thriller und Lovestory aufweist. Das Buch thematisiert aber auch Drogenkonsum, Mord, Suizid, sexuelle Belästigung sowie Vergewaltigung. Bereits ohne zwei, drei dieser Erfahrungen wäre die Geschichte komplex und anspruchsvoll gewesen. Firekeeper’s Daughter erreichte umgehend Platz 1 der New York Times Bestseller. Die US-amerikanische Kritik lobte es gemeinhin als herausragend und prämierte es als Sieger des „Goodreads Choice Awards Best Young Adult Fiction“. Das Cover ist Leseschlüssel und Sinnbild zugleich: zwei gespiegelte identische Gesichter, die sich bloß in der Hautfarbe voneinander unterscheiden, zeigen mit Native American Mustern in einem bunten, „Farbe-an-sich-Kontrast“ einen Schmetterling.

Leander Knoop


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