Frauen auf der Flucht

Syrien, Kamerun, China, Libanon, Irak oder Ukraine – Weltweit flüchten Frauen vor Konflikten und Verfolgung. Die Züricher Autorin Tina Ackermann hat mit einigen von ihnen über ihre Erfahrungen gesprochen und gewährt in ihrem daraus entstandenem Buch einen tiefen Einblick in die Lebensgeschichten der Frauen und beleuchtet gleichzeitig die vielfältigen Facetten von weiblicher Flucht. Laura Nikita Schwarzl hat das Buch für uns gelesen.

Frauen auf der Flucht, Tina Ackermann, Rotpunktverlag, ISBN: 978-3-85869-961-9 © Foto: Rotpunktverlag/Fallon Michael/unsplash | Frauen auf der Flucht, Tina Ackermann, Rotpunktverlag, ISBN: 978-3-85869-961-9

Schicksal statt Statistik

Über einen Zeitraum von zwei Jahren hat die Züricher Autorin und Werbetexterin Tina Ackermann mit Frauen gesprochen, die von ihren Erfahrungen vor, während und nach der Flucht erzählt haben. In ihrem Werk ermöglicht sie uns einen tiefen Einblick in die Lebensgeschichten dieser Frauen, die vor verschiedenen Formen von Verfolgung und Konflikten geflohen sind. Im Jahr 2022 veröffentlicht, zeigt das Buch nicht nur die vielfältigen Facetten weiblicher Flucht aus Ländern wie Syrien, Kamerun, China, Libanon, Irak oder Ukraine auf, sondern beleuchtet auch Schicksale, die sonst oft hinter anonymen Statistiken verborgen bleiben.

Die klare Struktur des Buches ermöglicht es, sich in den Berichten zurechtzufinden. Jedes der 43 Kapitel ist einer individuellen Geschichte gewidmet, was eine intensive Auseinandersetzung mit den einzelnen Lebensläufen erlaubt, etwa von Seynab, einer ehemaligen Journalistin aus Somalia.

Historische Hintergründe und persönliche Erlebnisse

Dabei verknüpft Ackermann geschickt historische Hintergründe mit persönlichen Erlebnissen, um den Leser*innen einen umfassenden Einblick in die Lebensrealität der Frauen zu vermitteln, etwa über eine Frau aus Afghanistan, die sie in der Schweiz getroffen hat: „Shahrazed ist obdachlos. Sie hat kein Geld, keine Kleider zum Wechseln, nichts zu essen. Sie wühlt in Abfällen, schläft auf der Straße, traut sich nicht zu schlafen. Als allein flüchtende Frau läuft sie ständig Gefahr, misshandelt, belästigt, vergewaltigt zu werden.” So schafft das Buch eine Verbindung zwischen den Geschichten und breiteren sozialen Themen.

Ackermann setzt auf eine nüchterne, aber dennoch tief bewegende Erzählweise. Der Schreibstil kann als gleichermaßen einfühlsam und eindringlich beschrieben werden. Die emotionalen Nuancen werden besonders durch die präzise Wortwahl und die empathische Schreibweise der Autorin greifbar. Die Stärke des Buches liegt in ihrer sensiblen Herangehensweise an die Thematik. Ackermann verzichtet darauf, die Frauen lediglich als Opfer zu porträtieren, sondern lässt auch Raum für die Überlebenskraft der Frauen. Die Leser*innen werden mit den vielschichtigen Herausforderungen konfrontiert, vor denen sie stehen, seien es politische Unterdrückung, ethnische Konflikte, Geschlechterdiskriminierung oder der Kampf um Würde und Gerechtigkeit.

Nicht nur Schmerz und Leid

Abschließend sei gesagt, dass dies nicht nur ein Buch über Schmerz und Leid ist, sondern auch eine Hommage an die Widerstandsfähigkeit und den Lebenswillen der Frauen, die gegen alle Widrigkeiten kämpfen. Es ist eine Lektüre, die nicht nur informiert, sondern auch zum Nachdenken anregt und eine dringende Aufforderung zu Empathie und Solidarität in einer globalisierten Welt darstellt. Sie ist ein Appell, bei allen Debatten in Europa über (Zwangs-) Migration, die Potenziale, aber auch die Vulnerabilität von Frauen nicht aus den Augen zu verlieren.

Laura Nikita Schwarzl


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