Look
Wer bestimmt, was wir in einem Menschen sehen – und was wir übersehen? In Look denkt Luka Holmegaard über Mode als Ausdruck, Verwandlung und Widerstand nach. Der Roman verwebt persönliche Erzählungen, gesellschaftliche Reflexionen und popkulturelle Bezüge zu einem vielschichtigen Text über Kleidung, Geschlecht und Identität. Poetisch, politisch und überraschend nah an den Fragen des Alltags. Katrin Lüdeke hat das Buch für uns gelesen.
© Foto: Weissbooks Verlag/Fallon Michael/unsplash | Look, Chris Grodotzki, Verlag: Weissbooks, ISBN: 978-3-86337-198-2
Kleider machen Fragen: Über Mode, Gender und das freie Selbst
„Was weiß man schon über einen Menschen, indem man seine Kleidung, seinen Look liest? Mein spontaner Gedanke: immer etwas und weniger, als zuerst angenommen.“
Luka Holmegaards dritter Roman – der erste unter diesem Namen – beschäftigt sich mit dem Lesen von Menschen und ihrer Kleidung. „Look“ ist eine Patchworkdecke aus vielen kleinen, kunstvoll gestalteten Abschnitten, die auf den ersten Blick zusammenhangslos wirken, aber am Ende ein ganz eigenes Kunstwerk ergeben.
Stoff zum Nachdenken
Alltägliche Episoden aus dem Leben der Hauptfigur Ida ergänzen sich durch essayistische Abschnitte über die Modeindustrie und Blicke in die Popkultur verschiedener Zeiten – von Emily Dickinson über Goethes „Werther“ und Salingers „Der Fänger im Roggen“ bis hin zu „Pretty Woman“ und einem 2007 erschienenen Sammelband, der sich mit Kleidungskultur, Fast Fashion und der Arbeit, die hinter der Kleidung steckt, beschäftigt.
Es geht darum, wer die Kleidung macht, wo sie herkommt, wie wenig man eigentlich darüber weiß. Holmegaard geht der Kleidung in all ihren Facetten auf den Grund, versucht, den Unterschied zwischen Verkleidung und Kleidung zu definieren, überlegt, wie sich im Laufe der Zeit immer wieder ändert, was Frauen-, was Männerkleidung ist und wie sich Geschlechternormen wandeln.
Die Erzählerin Ida trägt den Namen, unter dem Holmegaards erste zwei Romane erschienen sind. Mit „Look“, mit dem er für den Literaturpreis der dänischen Tageszeitung „Politiken“ nominiert wurde, tritt Luka Holmegaard zum ersten Mal als Autor in die Öffentlichkeit. Übersetzt wurde das Buch von André Wilkening aus dem Dänischen.
Der Stoff, aus dem wir sind
„To love is to pay attention“ – lieben heißt, aufmerksam zu sein – ist ein Satz, der dieses Buch begleitet. In poetischer Sprache wird die Liebe zum Detail, die Poesie der Mode, der Stoffe, immer wieder deutlich. Schon allein die Beschreibung mancher Kleidungsstücke ist so liebevoll und detailgenau, dass die Stoffe beinahe zu fühlen sind.
Der Blick fällt aber auch auf die unscheinbaren Nähte und ausgefransten Enden der Gesellschaft. Zwischen Selbstfindung und Selbstbestimmung bewegt sich Holmegaard im Kosmos Mode, Erwachsenwerden, Arbeitswelt und Mental Health. Ida wechselt zwischen Berufen hin und her, ist mal Aushilfslehrerin oder arbeitet in einem Büro und leidet unter den zum Teil prekären Arbeitsbedingungen, was sich immer wieder auf ihre mentale Gesundheit auswirkt. Und auch die Kleidung wechselt immer wieder ihre Rolle, ist mal Uniform, Schutzschild oder ein Akt der Rebellion.
„To love is to pay attention“ – dass Aufmerksamkeit auch ihre Schattenseiten hat und nicht immer aus Liebe entspringt, zeigt sich, wenn sich Blicke in Starren wandeln und Grenzen überschritten werden. Welche Kleidung ist wo angemessen? Gibt meine Kleidung anderen das Recht, über mich zu urteilen? Wer hat das Recht, die Lesart zu bestimmen?
Ein Text ohne Etikett
„Jedem steht es frei, von mir zu denken, dass ich so oder so bin. Ich bin offen für Lesarten – eine unabdingbare Voraussetzung, hier und anderswo“, urteilt Ida, die im Laufe der Erzählung immer mehr aus Normen ausbricht und sich Lesarten entzieht. Sie bewegt sich mal leicht, mal schwer zwischen den Geschlechtern und outet sich schließlich als nicht binär.
Auch das Buch selbst ist offen und lässt sich nicht so leicht einer Kategorie zuordnen: „Look“ mag sich nicht festlegen, ist eine Mischung aus Prosa und Essay, springt zwischen Zeiten und Orten hin und her, zwischen Jobs, Galerien, Literatur, Filmen und der Realität – gerade diese Vielschichtigkeit macht diesen Roman so berührend und fesselnd.
Katrin Lüdeke
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