Unlearn Patriarchy 1 & 2

Die Bücher „Unlearn Patriarchy I“ und „Unlearn Patriarchy II“ bieten tiefgehende Einblicke in die Strukturen und Mechanismen des Patriarchats und zeigen Wege auf, diese aufzubrechen. In einer kritischen und gleichzeitig konstruktiven Herangehensweise laden die Autor*innen dazu ein, patriarchale Denkmuster zu hinterfragen und alternative Perspektiven zu entwickeln. Christiane Ehrengruber hat die Bücher für uns gelesen.

Unlearn Patriarchy 1 & 2, Ullstein Verlag, ISBN: 978-3-550-20219-3 und ISBN: 978-3-550-20277-3 © Foto: Ullstein Verlag/Fallon Michael/unsplash | Unlearn Patriarchy 1 & 2, Ullstein Verlag, ISBN: 978-3-550-20219-3 und ISBN: 978-3-550-20277-3

Der Duden definiert das Patriarchat als „Gesellschaftsordnung, bei der der Mann eine bevorzugte Stellung in Staat und Familie innehat und bei der in Erbfolge und sozialer Stellung die männliche Linie ausschlaggebend ist“. Tatsächlich hat das Patriarchat große Auswirkungen auf alle Aspekte des Lebens – nicht nur des Lebens von Männern. Denn wenn medizinische Forschung immer nur von heterosexuellen weißen cis Männern ausgeht, kostet das täglich Leben. Und wenn die Erziehung von Kindern diese bereits in Stereotype und Rollenklischees zwängt, bevor sie überhaupt stehen und sprechen können, hat das langfristige Auswirkungen auf das Denken, Fühlen und Handeln dieser Kinder – auch wenn sie selbst später Reflexions- und Emanzipationsprozesse durchlaufen sollten. Denn wenn die Logik, die alle Entscheidungsfindung, unsere Forschung, unsere Sprache, unser Denken, unsere Erziehung beeinflusst männlich geprägt ist, dann wirkt sich das bis ins kleinste Detail des Alltages aus, auch wenn uns das oft im ersten Moment nicht so auffällt.

Wie beeinflusst das Patriarchat Leben, Denken, Fühlen und Handeln?

Lisa Jaspers, Naomi Ryland und Silvie Horch haben mit Unlearn Patriarchy I 2022 verschiedene Stimmen zusammengebracht. Die Herausgeberinnen erkennen, dass das Patriarchat ihr Leben, Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst. Darum haben sie Autor*innen mit Expertise zu den verschiedensten Themen angefragt, um aufzudecken, wie patriarchale Strukturen diese Bereiche beeinflussen. Es geht den Herausgeberinnen nicht immer darum, selbst vorzupreschen, sondern sich als Lernende zu verstehen und gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass alle gehört werden.

Auf gut 300 Seiten zeigen verschiedene Autor*innen in Essays, wie ihre jeweiligen Spezialgebiete neu gedacht werden können – wie man beispielsweise Familie, Liebe oder auch Politik neu lernen kann. Denn genau das braucht es aus Sicht der Herausgeberinnen. Eine kritische Reflexion mit der gegenwärtigen Situation, ein Demaskieren von patriarchalen Strukturen und Denkmustern und dann ein umfassendes Neudenken aller Bereiche des Lebens.

Es braucht einen kritischen Umgang mit dem Patriarchat

Zwei Jahre später erscheint Unlearn Patriarchy II, herausgegeben von Emilia Roig, Alexandra Zynkunov und Silvie Horch – die Motivation ist ganz klar. Während der erste Band bereits viele Bereiche des Lebens abgedeckt hat, gibt es noch so viele weitere Lebensbereiche, in denen es eine Tiefenbohrung braucht. So werden hier unter anderem Bereiche wie Körper, Architektur aber auch Kirche (das Kapitel schrieb Sarah Vecera) angeschaut. Die Herausgeberinnen betonen außerdem, dass laut Weltbank 2023 das weltweite Reformtempo mit der Perspektive auf Gleichberechtigung ein 20-Jahres-Tief erreicht habe und dass es einen kritischen Umgang mit dem Patriarchat brauche, das gleichzeitig Reformen verhindert und sich selbst auf das Fortbestehen von Diskriminierung stützt.

Beide Bände haben gemein, dass die Autor*innen in den Auseinandersetzungen einen Weg wählen, der sich sowohl wissenschaftlich mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzt und auch feministische und weitere empowernde Entwicklungen berücksichtigt, aber gleichzeitig persönliche Erfahrung und den eigenen Erkenntnisgewinn einbezieht. Dies macht die einzelnen Kapitel zugleich lehrreich und unterhaltsam.

Viele verschiedene Perspektiven wirken horizonterweiternd

Die Intention der Herausgeberinnen war es, denjenigen eine Stimme zu geben, die sonst zu wenig gehört werden. Und sie haben dies hervorragend umgesetzt. Auch in dem steten Bewusstsein, dass noch bei weitem nicht alles gesagt ist und es noch viele weitere kritische Auseinandersetzungen damit bräuchte, wie unsere Lebenswelt funktioniert und warum es förderlich für alle Menschen sein kann, dass diese nicht länger für heterosexuelle weiße cis Männer gestaltet wird.

Ob man sich bisher mit den Auswirkungen des Patriarchates auseinandergesetzt hat oder neu auf diesem Gebiet ist – ich empfehle die Lektüre allen, die ihren Horizont erweitern möchten. Denn durch die vielfältigen Themenbereiche und die großartige Diversität der Autor*innen ist für uns alle noch etwas Neues dabei. Besonders gefällt mir auch die Intersektionalität in den Beiträgen. So bringt Yassamin-Sophia Boussaoud zum Beispiel im Kapitel „unlearn Körper“ viele verschiedene Perspektiven zusammen, die ein umfassendes Bild des komplexen Themenbereiches geben. Nur ein Beispiel von vielen in diesen beiden Büchern.

Christiane Ehrengruber


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