Zeugnisse der Menschlichkeit

Auf schlichte und anrührende Weise erzählt Grigorije Durić in seinem Buch von der Bedeutung bestimmter Orte für seine geistliche Entwicklung aber auch von Begegnungen mit Menschen, deren Geschichten wie seine eigene, oft von Tod, Leid und Krieg geprägt sind. Dennoch ist es ein Buch, das Hoffnung gibt. Annette Muhr-Nelson hat es für uns gelesen.

Zeugnisse der Menschlichkeit, Grorije Durić, Herder Verlag, ISBN: 978-3-451-39398-3 © Foto: Herder Verlag/Fallon Michael/unsplash | Zeugnisse der Menschlichkeit, Grorije Durić, Herder Verlag, ISBN: 978-3-451-39398-3

Diese kleine und preisgekrönte Sammlung erlebter Geschichten des serbisch-orthodoxen Theologen Grigorije Durić erschien ursprünglich 2017 unter dem serbischen Titel „Preko Praga“ (Über die Schwelle). Im Jahr 2018 wurde der Autor, der seit 1999 Bischof der Diözese Zahum-Herzegowina war, zum Bischof der Diözese von Düsseldorf und Oberhaupt der Serbisch-Orthodoxen in ganz Deutschland ernannt; hier erfolgte 2023 die Veröffentlichung in deutscher Sprache.

Die Geschichten nehmen uns mit auf eine Reise in das ehemalige Jugoslawien, nach Bosnien und Herzegowina. Sie beginnen mit einer „Schwellengeschichte“, dem Tag, nämlich, an dem der Autor sein Elternhaus verlässt, und lenken den Blick auf die Weite der Landschaft und des Lebens: „Ich griff nach dem kleinen Koffer, der ein paar Tage zuvor für diesen Anlass gekauft worden war. Ohne Tränen und ohne mich umzudrehen, ging ich langsam den abschüssigen Weg zur Hauptstraße hinab. Im Kopf dröhnte das Wort Schwelle, das alles andere erstickte und verdrängte. In diesen Schritt, den ich an diesem Tag über die Türschwelle tat, passte, so scheint mir, mein ganzes Leben.“

Seine Narben sind zur Kraft- und Lebensquelle geworden

Seine Lebensreise führt Grigorije Durić an Orte mit klingenden Namen wie Zitomislic, Ostrog, Zavala und Tvdros. Auf schlichte und anrührende Weise erzählt er von der Bedeutung dieser Orte für seine geistliche Entwicklung. Das kindliche Staunen scheint ihm dabei auch in der Retrospektive nicht abhandengekommen zu sein. In Ostrog, wo er 1992 zum Mönch geweiht wurde, war er zum ersten Mal als kleiner Junge. „Noch immer erinnere ich mich an die Frische der Luft, die mich streichelte und nährte. Ganz lebendig steht die merkwürdige Felswand vor meinen Augen, von der ich drei Steinchen mitnahm, die ich lange als Glücksbringer in der Hosentasche mit mir trug. Ich weiß auch, wann, wo und wie ich sie verloren habe und wie traurig ich deswegen war.“

Die Geschichten der Menschen, denen er begegnete, sind geprägt von Leid und Tod. Die Jugoslawienkriege 1992 bis 1994, die der Autor selbst miterlebte, und die Kriege, die die Biografien seiner Familie prägten, der Erste und Zweite Weltkrieg sowie die Bürgerkriege auf dem Balkan, haben tiefe Wunden hinterlassen. Der Bischof versteht es aber, sie durchlässig zu machen für die Hoffnungszeichen und uneigennützigen Taten, die er auch in Schreckenszeiten etwa in Begegnungen mit anderen sieht: „Trotz des Traumas, das er in sich trug, saß vor mir ein bewundernswert ruhiger und mutiger Mann. Seine Narben sind zu seiner Kraft und Lebensquelle geworden. Wir schwiegen beide lange, jeder in seinen Gedanken, während durch die Luft eine angenehme Wärme strömte, erfüllt von einem Hauch von Würde, Hoffnung und Menschlichkeit.“

Letztlich ist dieses Buch eine Sammlung von Geschichten, die Fenster aufstoßen, um Gottes Gnade und die Hoffnung auf die Überwindung des Todes einzuatmen. Und es ist ein Buch voller Sehnsucht nach Heimat – wohl wissend, dass unsere ewige Heimat bei Gott ist.

Annette Muhr-Nelson


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